Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
George Gershwin sei ein Wanderer in zwei Welten, betonte zur Einführung des Konzertes „Gershwin´s World“ im ausverkauften großen Saal des Mainzer Schlosses der Pianist Professor Sebastian Sternal. Er und Professor Felix Koch, Leiter und Dirigent des Orchesters der Hochschule für Musik hatten diese Konzerteröffnung des Festivals „Mainz Musik“ künstlerisch gestaltet. Die Zuhörer erlebten eine einfühlsame sowie technisch und musikalisch virtuose Führung durch den Kosmos des amerikanischen Komponisten, dessen Verdienste selbst der so kritische wie unbestechliche Arnold Schönberg würdigte. Der Pionier der Zwölftonmusik wies auf das Neue in der Musik Gershwins hin, der zwar kein Jazzmusiker war, mit sicherem Stilgespür und hohem Einfühlungsvermögen schwarze Folklore, Spiritual, Blues und Jazz mit ihren typischen harmonischen Wendungen und Akkordfolgen in seine sinfonischen Dichtungen integrierte. Mit seinen Grenzüberschreitungen schuf George Gershwin in der Partnerschaft mit Bruder Ira beispielhafte Gesamtkunstwerke.
Gleiches gelingt an diesem denkwürdigen Abend auch den klassisch ausgerichteten Musikern des Sinfonieorchesters und den Jazzern, die abwechselnd allein oder gemeinsam Gershwins Welt durchschreiten. Mit balladesker Sensibilität, aber auch treibenden Rhythmen und manchmal nahe am Crescendo stellen Saxophonist Thomas Bachmann, Trompeter Marko Mebus, Bassist Bastian Weinig und Schlagzeuger Pit Marquardt sowie mit wuchtigen Akkordfolgen und flirrenden Läufen Pianist Sternal nach der Oper „Porgy and Bess“ den Songwriter Gershwin mit seinen Kompositionen vor, die vor allem von Musikern im Bebop in Standards umgewandelt wurden.
Die Sopran-Arie „Summertime“ umklammert wie ein Motto die gesamte Oper „Porgy and Bess“. Die Schlichtheit der Melodie will nicht nur den Wiegenlied-Charakter betonen, sondern ahmt auch afroamerikanische Folklore nach. Im ersten Akt gehört die Arie zur Exposition der Oper, im dritten Akt erklingt das Wiegenlied nochmals als tragische, bluesige Melodie. Das Orchester der Musikhochschule Mainz unter der Leitung von Professor Felix Koch und die Jazz-Combo mit den Arrangements des Pianisten Professor Sebastian Sternal vollziehen bewusst kontrastierend die Klangfarben und Sounds beider Welten, die George Gershwin miteinander verknüpfte. Einmal mit den drei klassischen Sopranistinnen Lingyuan Goa, Ruth Katharina Peck und Saem You sowie dem Bariton Dmitry Ryabchikov vor dem vollen Orchesterklang mit Streichern, Bläsern und Percussion, zum anderen mit den beiden Sängerinnen Caroline Trischler und Nathalie Hoyer sowie dem Sänger Alexander Gelhausen vor der komplexen, rhythmisch und klanglich bluesig getönten Combo des Pianisten.
Herbie Hancocks Arrangements von „Gershwin´s World“ aus dem Jahr 1998 hatten den Titel des Mainzer Konzertes inspiriert. Hancocks Interpretation des Gershwin-Songs „Lullaby“ ist für Sternal Anlass, auf dem Flügel mit teils sperrigen, wuchtigen Akkordblöcken, teils fließenden und perlenden Läufen zu den leisen und sanften Klängen der von Koch ebenso streng wie sensibel geleiteten Streichern zu improvisieren.
Gershwin selbst untertitelte sein Werk „An American in Paris“ als „tone poem for orchestra“. Wie im Original von 1928 erfüllt Koch das dreiteilige Stück mit dem vollen Klang und der Wucht des Sinfonieorchesters einschließlich der Auto-Hupen Pariser Taxifahrer. Gershwin hatte in dieser Tondichtung in freier Form seine Eindrücke von einem Aufenthalt in Paris musikalisch festgehalten. „Warum wollen Sie ein zweitklassiger Ravel sei, wenn sie ein erstklassiger Gershwin sein können“, hatte damals der berühmte Komponist des Impressionismus den amerikanischen Kollegen ermutigt. Orchester und Combo begeistern mit ihrer Interpretation dieser Symbiose aus sinfonischer Dichtung, Blues und Ragtime das vielköpfigen Publikum, das diese Eröffnung des 18. Festivals „Mainz Musik“ mit nicht enden wollendem Beifall belohnt.