Eine kleine Blase am Daumen hat er sich gezupft beim Üben auf dem Daumenklavier, mit dem der Pianist Hans Lüdemann, ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen, vor das Publikum in der Rüsselsheimer Jazzfabrik tritt. Ein folkloristisches Motiv des befreundeten südafrikanischen Musikers Mbira Ephat Muzuru variiert er auf den Metallfedern des kleinen Instruments. Noch während die letzten Töne verklingen, greift der Pianist in die Tasten des Flügels. Groß gewachsen sitzt er vor dem Bösendorfer, leicht gebeugt, den Blick irgendwo in der Ferne verloren. Die Finger schlagen ein paar Akkorde an. Leise und bedächtig. Die linke Hand formt einige Bass-Figuren. Eine ostinate Reihe, über der die Rechte einen melodischen Ausflug unternimmt. Der Rhythmus wird akzentuierter, verschleppt und manchmal in der Gegenläufigkeit zum Spannungsaufbau genutzt. Mit einem kleinen E-Piano, das über einen Laptop gesteuert wird, rundet Lüdemann die Klänge mit Vierteltönen und „Glissandi“ ab, verfremdet sie leicht, fast unhörbar. Dann wird der Anschlag kräftiger, das Tempo steigert sich, die tiefen Akkorde füllen sich mit Energie.
Doch plötzlich und unerwartet fällt der Pianist in eine lyrische Single-Note-Linie zurück, tastet suchend nach Einzeltönen und Akkorden. Lüdemann erhebt sich von seinem Hocker, beugt sich über den offenen Flügel, reißt Saiten an und lässt sie schnarrend schwingen. Dann noch ein paar Griffe in die Saiten der Höhen, einem Diskant gleich. All dies wird unterlegt mit einem rhythmischen Gefüge, das der Künstler aus Afrika auf sein Instrument transponiert. „African Variations“ hat Hans Lüdemann logischerweise sein Programm überschrieben, denn er schöpft aus diesen ursprünglichen Ressourcen, ohne sie nachzuahmen. Es sind eher Inspirationen vom schwarzen Kontinent, die Stimmungen erzeugen und als Polyrhythmen in das Spiel einfließen.
Intensitätswellen und Dynamiksprünge, Wechsel von tastenden Single-Note-Linien und eruptiven Akkordschichtungen, hymnische Harmonien und treibende Rhythmen kennzeichnen das Spiel des 45-Jährigen. Auf den Piano pendelt er zwischen lyrischen Melodien und selteneren Free-Expressionen, zwischen andante und rasend, setzt auch einmal einen Akzent mit einem Ellenbogen-Cluster.
In der „Kora-Suite“ seines Freundes Tata Dindin wechselt Hans Lüdemann zum Klavichord, überträgt die Klangwelt und Stimmungen der afrikanischen Kürbisharfe auf die traditonsreiche Vorläuferin des Pianos. Auf den Tasten und Saiten interpretiert er den hitzigen Stil der „geschlagenen“ ebenso wie den langsameren, gezupften, klassischen Klang der „sprechenden Kora“. Lüdemann nutzt die Möglichkeiten des Instruments, mit dem Druck auf die Tasten die Saiten vibrieren zu lassen und die Dynamik zu steuern.
In den vom Publikum vehement geforderten Zugaben interpretiert der Pianist auf seine Weise zwei -Lieder von Hanns Eisler: „An dem kleinen Radioapparat“ und „Vom Sprengen des Gartens“ – wuchtig und die Klangfülle des großen Bösendorfers auskostend, mit lyrischen Parts und Kunstlied-Touch sowie mit rhythmischen Variationen und spannungsgeladenen Ostinati, bevor er sich wieder mit verschmitzten Lachen endgültig verabschiedet.