Das Konzert ist ein einziges, in sich geschlossenes Kontinuum. Jede Idee erschafft neue, ohne feste Grenzen, ineinander übergehend. Ohne Brüche und dennoch immer wieder Eigenständiges gebärend. Peter Brötzmann steht auf der kleinen Bühne des Jazzcafés Rind in Rüsselsheim, zeigt dem Publikum des Festivals „Jazz in Progress“, dass Free noch längst nicht tot ist. Intensität und Powerplay sind Synonyme für den Saxophonisten, der ungeachtet modischer Strömungen stets er selbst geblieben ist: Free-Jazz-Pionier und mit 64 Jahren auch Veteran.
„Machine Gun“ nannte einst der Amerikaner Don Cherry den Deutschen, als „Kaputtspielzeit“ sein langjähriger musikalischer Begleiter Peter Kowald jene Periode, in der Peter Brötzmann keine Grenzen anerkennen wollte, um so weit wie möglich zu gehen und eben jene scheinbar nie zu erreichenden Grenzen auszuloten.
Auch heute in Rüsselsheim bläst Brötzmann seine Saxophone und Klarinetten mit ungebrochener Intensität und Urgewalt. Schier endlose Variationen, weit geschwungene Läufe, die an- und abschwellen, auf- und absteigen. Sein ebenbürtiger Counterpart ist der Trompeter und Saxophonist Joe McPhee, der sich mit gleicher Energie und Kraft auf Tenor- und Sopransaxophon ins Ruf-Antwort-Spiel einlässt, der auf der Pocket-Trompete schnatternde Duette liefert. McPhee gilt ebenfalls als Free-Jazz-Pionier, ist mit Instrumenten und Elektronik auf der Suche nach dem surrealen Klang weit vorangeschritten. Er trifft sich mit Brötzmann aber auch in fast hymnisch wirkenden sanfteren Sounds, begleitet mit sparsamen Akkordeinwürfen den dann fast zerbrechlich wirkenden Klang von Brötzmanns Saxophon – bis dieser sein Instrument wieder gurren und schreien lässt, Bassist Kent Kessler ein gestrichenes Solo in die Nähe der modernen Kammermusik rückt und Schlagzeuger Michael Zerang den notwendigen Puls dazu liefert.
In diesem Wechselspiel von sanften und fast melodischen Parts sowie ekstatischen freien Ausbrüchen überwiegt noch immer das Energetische, das sich auch in der Lautstärke verwirklicht. Es zeigt sich aber, dass Peter Brötzmann in der Reife des Alters seine Grenzen erkannt und überwunden hat.
Freiheit in einem etwas anderen Sinn bestimmt die Musik der Gruppe „Olaf Ton“ mit dem Trompeter Richard Koch, dem Saxophonisten und Klarinettisten Benjamin Weidekamp, dem Posaunisten Matthias Müller, dem Bassisten Michael Haves und dem Schlagzeuger Christian Marien. Respektlosigkeit und ungezügelter Humor prägen die Stücke, die so skurril klingen wie ihre Titel. „Olaf Ton und das dunkle Vermächtnis der goldenen Kuh“heißt bezeichnend eine CD, aus der das Quintett zitiert. Harmonien werden zerfasert, Melodien verfremdet, eine walzerselige Blasmusik persifliert. Hart ist der meist durchlaufende Beat, über dem die Bläser Sounds kreieren, die Feuerwehrsirenen oder Spike-Jones-Disharmonien assoziieren. Stilbarrieren gibt es für die fünf jungen Musiker nicht. Das „geordnete Chaos“ wird zum Prinzip erhoben, die Klangformung ausgelotet. Es entsteht ein Gegenentwurf zum gefälligen Harmoniebedürfnis. In dieser Mixtur aus Gott-weiß-was-allem herrscht stets Hochspannung, die durch den Humor aufgelöst wird. Das Publikum fühlte sich auf diesem musikalischen Abenteuerspielplatz sichtlich wohl.