Die 10. Ausgabe des Neuen Deutschen Jazzpreises sog die Jazz- und Jazz-Eventinteressierten so unwiderstehlich in die Alte Feuerwache Mannheim, dass am Wettbewerbsabend das „Ausverkauft“-Schild am Eingang klebte.
Seit einigen Jahren ist die Veranstaltung, die mit dem Vorabend-Projektabend und Kuratorenkonzert mittlerweile sogar ein gewisses Festivalfeeling verströmt, zu einer Erfolgsgeschichte geworden. Eine Erfolgsgeschichte, die auch attraktiv genug ist um nach dem Abgang des Hauptsponsors MVV im vergangenen Jahr mit der L-Bank rasch einen Ersatz zu finden, der sich für mindestens drei Jahre engagieren wird und die kommenden Ausgaben der Veranstaltung garantiert. Und erfolgreich genug um in diesem Jahr sogar den Oberbürgermeister Mannheims, Peter Kurz, höchstpersönlich als Laudator zu gewinnen.
Der Neue Deutsche Jazzpreis ist allerdings auch ein spezielles Jazz-Biotop, vor allem am Wettbewerbsabend. Es ist kein Festival zu dem man fährt, weil man die Bands kennt oder zumindest die generelle Ausrichtung des Veranstaltung. Die Mehrzahl des Publikums lässt sich beim höchstdotieren Publikums-Jazzpreis in Deutschland auf meist Ungehörtes ein. Drei Finalisten, die eine Vorjury Auswahl überstanden haben, dann den finalen Filter des Kurators passieren mussten um am Ende auf der Bühne der Alten Feuerwache zu stehen und sich dem abstimmenden Publikum zu präsentieren. Und das Publikum ist aktiver Teil dieses speziellen Biotops. Von dem kleineren Teil des hartnäckigen Jazz-Publikums, das sich des Öfteren auch außerhalb solcher Großveranstaltungen trifft, etwas misstrauisch beäugt: sind die wirklich kompetent genug um hier eine Stimmkarte abgeben zu dürfen? Falscher Ansatz.
Wer generell die Jazz-Messlatte besonders hoch anlegt, der ist beim Neuen Deutschen Jazzpreis nicht immer glücklich mit dessen Ausgang – Ausnahmen bestätigen die Regel: Wollny 2011 oder auch im vergangenen Jahr die Doppelsieger Sternal/Valk und Tria Lingvo – wenn entweder hochklassiger Jazz gepaart mit massentauglicher Popularität die Entscheidung bringt oder der Kurator seinen Teil beiträgt und das Teilnehmerfeld auf ein hohes Niveau hievt. Manchmal, wie in diesem Jahr, muss man die Ergebnisse eher mit freundlichem Interesse als Indiz dafür hinnehmen, was aktuell konsensfähig unter dem Label „Jazz“ bei der „erweiterten“ Jazzgemeinde ankommt.
Eigenwillige Selektionen des Kurators und vielleicht auf den ersten Blick erstaunliche Vorschläge seiner Vorjury machen die Veranstaltung spannend und Kenny Garrett, der diesjährige Kurator, hatte drei wahrlich unterschiedliche Bands ins Finale befördert. Die von ihm Aussortieren hinterließen allerdings zumindest beim Schreiber dieser Zeilen ein leises „Warum, Kenny, warum?“.
Nun denn: am Ende waren es das Filippa Gojo Quartett, Rainer Böhm und Lutz Häfner mit einem Cello Quartett und die beiden Zwillingsbrüder, die unter dem vornamensverdichtenden Namen Andreas Matthias Pichler ins Rennen gingen. Diese beiden spielten als letzte in der Veranstaltung und landeten am Ende auch auf diesem Platz. Ihr Auftreten, ohne An- oder Absage und mit einem ununterbrochenen Set war wohl auch eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass ihre Präsenz bei einem Jazzwettbewerb ein grandioser Irrtum war. Man könnte von „Simon & Garfunkel Jazz“ sprechen. Die beiden – sehr sympathischen – Brüder zelebrierten angenehmen Harmoniegesang und Matthias Pichler war als virtuoser Bassist gar nicht Mal so fehl am Platz. Sein Glanz am Kontrabass wurde allerdings durch die für Jazzverhältnisse doch arg beschränkten Fähigkeiten seines Bruders an Schlagzeug und Banjo locker aufgehoben. Letztlich hinterließen die Beiden wohl bei den meisten Zuhörern ein eher zwiespältiges: „nett, aber auf einer Jazzpreis-Bühne? – Gefühl“.
Den vermeintlich undankbaren Auftaktauftritt musste das Filippa Gojo Quartett bestreiten. Ein großer Nachteil war es in der Praxis nicht: die Band gewann mit ordentlichem Vorsprung den Wettbewerb und Filippa Gojo konnte am Ende sogar den Solistenpreis mit nach Hause nehmen. Die namensgebende Vokalistin ist mit einer wirklich wunderbaren Stimme gesegnet, die sie effektvoll in Szene setzte. Ob das im Solo, nur selbstbegleitet mit der Shruti-Box war oder im Titel „Rush Hour“, bei der sie mit ihrer spielfreudigen Begleitband einen wilden Mix aus Liedgut mit walzerrhythmisch-österreichischen Wurzeln im Wechsel mit fiebrigen Percussion E-Piano Soli zum Besten gab. Vielleicht gab dieser Titel am Ende auch den Ausschlag für den Sieg. Er zeigte die etwas jazzig-lebhaftere Seite der Sängerin, die sich ansonsten doch sehr auf getragene Stücke konzentrierte. Strukturierter Wohlklang, dem man gelegentlich etwas Mut zum „Aufbruch“ gewünscht hätte. Wobei „man“ recht subjektiv ist: der Mehrzahl im Publikum war es ein Wohlgefallen.
Die zweite Formation des Abend holte sich auch den zweiten Platz. Lutz Häfner am Saxophon, Rainer Böhm am Piano, begleitet von vier Celli. Auf dem Papier die klaren Sieger bei einem Jazzpreis: die beiden Frontmusiker bewährte, ausgezeichnete Musiker seit Jahren auf der Jazzszene präsent, vor allem Rainer Böhm zudem mit einem möglichen Heimvorteil befördert. Allein: es reichte nicht. Schöne Balladen, vielleicht zu schön mit Streicherwohlklängen unterstrichen, vielleicht ein wenig zu schwelgerisch die Pianogirlanden von Böhm. Harmlosigkeit auf höchstem Niveau am stärksten dann, wenn die Streicher schwiegen und sich das Zusammenspiel von Böhm und Häfner im intimen Zwiegespräch verdichtete.
Der IG-Jazz kann man gratulieren: sie präsentierten eine ausgezeichnet organisierte und sympathisch von den Aktiven moderierte Veranstaltung, die fester Bestandteil des Mannheimer Kulturlebens geworden ist und die abgesehen vom musikalischen Event mit Strahlkraft auch eine Kommunikationsbörse, ein Stelldichein der Jazzszene geworden ist – weit über Mannheims Grenzen hinaus.
www.neuerdeutscherjazzpreis.de
Die Original-Kommentare von jazzpages.com:
Kommentar von Edgar Platzer | 15.03.2015
„Warum, Kenny, Warum“, so oder ähnlich, ging es mir auch.
Während des 2ten Stücks des 2ten Auftritts bin ich ohne Antwort gegangen – und siehe, ich habe nichts versäumt.
Jedenfalls keinen „Jazz“.
Kommentar von Frank | 15.03.2015
Die Auswahl war für dich eben (auch) nicht so recht passend. Die Mehrheit des Publikums war aber mit dem Abend zufrieden, soweit ich es mitbekommen habe. Ist ja schon spannend – und Teil des interessanten Spiels – wie prägend der Kurator für die Veranstaltung ist.
Kommentar von Frank | 19.03.2015
Die Mail eines Musikers, Schlagzeuger zumal, erreichte mich. Zitat:
„Da täuschst du dich gewaltig, dass seine Mittel limitiert sind. Das ist
ein super Trommler. „
Ich hatte es nicht so wahr genommen und finde diese Meinung interessant.