Enjoy Jazz 2023 – Vorschau der Jazzpages

Zu Beginn des 25. Enjoy Jazz Festivals geht es “back to the roots” – zumindest fast. Denn das Eröffnungskonzert des Festivals findet in diesem Jahr nicht im Heidelberger Schloss oder in einem der repräsentativen Häuser der BASF in Ludwigshafen statt, sondern im Karltorbahnhof Heidelberg. Auf dem Papier also in der Wiege von Enjoy Jazz – wenn vom Karlstorbahnhof nicht nur Name und Spirit geblieben wären. Denn seit einiger Zeit – und auch schon Enjoy Jazz bewährt – befindet sich die etablierte Spielstätte in einem Neubau auf den Konversionsflächen, die nach dem Abzug der amerikanischen Armee aus Heidelberg auch kulturell umgewandelt werden. Gut in puncto Raum, Sound und Licht, auch wenn mancher dem durchaus speziellen Charme des Originals am östlichen Stadtausgang nachtrauert. Sympathisch auch der Einstieg mit dem Symin Samawatie Sextett der deutsch-iranischen Sängerin, gleich der erste internationale Akzent mit Klubnacht, Film und Performance das richtige Abtauchen ins Jubiläumsfestival.

Eines der besonders herausgestellten Projekte, die Neuinterpretation des Ornette Coleman Meisterwerks aus dem Jahr 1959, „The Shape of Jazz To Come“ unter Mitwirkung seines Sohnes Denardo (der im Jahr 2005 mit seinem Vater im legendären Enjoy Jazz Konzert in einer Plexiglasbox spielen musste) ist ein gewagtes Spiel: die Fallhöhe, sich neuinterpretatorisch an Klassikern zu versuchen ist hoch. Solche Spezialprojekte können ein grandioser Erfolg werden aber auch kläglich an der erdrückenden Singularität des Originals scheitern. Aber Vertrauen in die Brillanz von Musikern, an das Gelingen von Projekten und Konstellationen auch über die Musik hinaus gehört zu einem gelungenen Festival.

Trust

Moor Mother Jazzthetik Title - Photo: Schindelbeck

So scheint auch in diesem Fall eine Neuerung des diesjährigen Festival wohl gewählt: ein Festivalmotto gibt es nach 24 Jahren Festivalgeschichte erstmals, bestehend nur aus dem Wort „Trust“. Aber was heißt „nur“? Die Wahl ist gelungen, weil Vertrauen in so vielen Musik- und Lebensbereichen eine wesentliche Rolle spielt und durchwegs positiv besetzt ist. An Vertrauen gibt es als Grundhaltung nichts zu mäkeln – ja, klar – auch wenn die blinde Variante gelegentlich beachtet werden sollte.

Vertrauen setzt Festivalchef Rainer Kern auch bei einer der innovativen Programmpunkte des Festivals: er gibt internationalen Festivalkuratoren während einer Enjoy Jazz Festivalwoche freie Hand das Programm zu gestalten. Das renommierte „Vision Festival“ aus New York ist dabei, aber auch weitere Festivals von Istanbul über Südkorea bis Uganda und Mali. Die Künstler dürften den wenigsten Besuchern vorab bekannt sein, hier darf man auf das Gespür der internationalen Kuratoren vertrauen und sich darauf freuen.

International und weiblich wird das diejährige Festival. Der Frauenquote im Jazz läuft Enjoy Jazz schon seit ein paar Jahren nicht hinterher, sondern voran und so ist nicht überraschend, das es gleich zwei weibliche Artists in Residence geben wird. Die Schlagzeugerin und Komponistin Terri Lyne Carrington und die Vokalistin, Spoken Word Poetin, Komponistin und Autorin Camae Ayewa aka Moor Mother (Portrait in der aktuellen Ausgabe der Jazzthetik). Letztere bei Enjoy Jazz bereits wohlbekannt; mit den fabelhaften Irreversible Entanglements spielte sie im DasHaus in Ludwigshafen und erst jüngst auf der BUGA in Mannheim mit „Jazz Codes“. Zu einem der besonderen Highlights könnte das Zusammentreffen von Moor Mother und Archie Shepp werden: „black codes“…

Issaiah Collier - Photo Schindelbeck
Isaiah Collier – Photo: Schindelbeck

…so hat es der Journalist und Autor Christian Broecking einmal als Buchtitel gewählt. Nach dem zu jung verstorbenen Broecking, einem Freund des Festivals, ist auch ein erstmals vergebener Preis des Enjoy Jazz Festivals benannt: „Christian Broecking Award for Arts Education“. Terri Lyne Carrington ist die erste Preisträgerin. Als Autorin hat sie „New Standards. 101 Lead Sheets by Women Composers“ verfasst.

Die erste Festivalwoche „Set Her Free“ ist von Frauen geführten Ensembles gewidmet. In dieser Woche sind unter anderem Alexandra Lehmler mit Jan Bang und Vincent Courtois zu hören, die fantastische Pianistin Aki Takase, Lakecia Benjamin – die schon die Alte Feuerwache zum köcheln brachte – und die bereits genannte Cymin Samawatie konzertant aber auch im Rahmen einer Matinee.

Die regionale Szene ist mit dem hochklassigen Duo Jutta Glaser & Claus Boesser-Ferrari vertreten und natürlich wieder mit dem Ludwigshafener Schlagzeuger Erwin Ditzner, der wie immer mit seiner Carte Blanche in der Alten Feuerwache ein erwartbares Highlight der frei improvisierten Musik präsentieren wird. Eigentlich nicht zur regionalen Szene gehörend aber aus historischen und Präsenzgründen dann doch, gehört der Bassist Sebastian Gramss. Er spielt mit seiner Formation „Meteors“, die nicht nur mit durchwegs exzellenten Musikerinnen und Musikern besetzt ist, sondern überhaupt zu den lebendigsten Band der Republik gehört. Die prägnanten Kompositionen des Bandleaders werden von dieser Formation interpretiert und in Improvisation auf eine neues Level transzendiert. Für mich eines der Highlights des Festival.

Sebastian Gramss – States of Play / Meteors – Photo: Schindelbeck

Davon gibt es einige weitere: Jason Moran solo wird ein Erlebnis werden, Isaiah Collier darf nach seinem Europadebüt am alten Karlstorbahnhof im Freien unter dem Dach des Neuen spielen. Wer Colliers Urgewalt, geboren aus der Ursuppe des afroamerikanischen Jazz à la Coltrane und Sanders schon einmal erlebt hat, wird sich das Encore bei Enjoy Jazz nicht entgehen lassen. Wer ihn nicht kennt, sollte unbedingt dorthin pilgern.

Der schon in den Vorjahren prominent vertretene Saxophonist Archie Shepp wird außer seinem Duo mit Moor Mother auch das Abschlusskonzert bestreiten, mit seinem Quintet unter dem Motto „There is Love“. Auch für Liebe ist Vertrauen die Grundlage.

Enjoy Jazz Festival

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