Irritierend wie der Titel „Au privave“, von dem niemand weiß, was Charlie Parker damit meinte, sind die rhythmischen Irritationen dieser Bebop-Linie über den Blues. Beim Konzert des Emil Mangelsdorff Quartetts im Foyer des SWR Mainz fällt dem Zuhörer die zerteilte Phrasierung des schnellen Stückes auf. Off- und On-Beat-Akzente sowie Walzer-Assoziationen, dann ein relaxt-bluesiger Ausklang sorgen für Spannung.
Seine ganz besondere innere Spannung ziehen die Interpretationen des Quartetts mit dem inzwischen 81-jährigen Altsaxophonisten Emil Mangelsdorff, den Pianisten Thilo Wagner, dem Bassisten Vitold Rek und dem Schlagzeuger Janusz Stefanski jedoch aus musikalischen Gegensätzlichkeiten: Mangelsdorff ist ein gereifter Ästhet auf dem weiten Feld zwischen Swing und Bebop, während Charlie Parker mit seinen verzwickten Harmonien und rasanten Off-Beat-Phrasen den Jazz revolutionierte. Wenn also der Saxophonist aus Frankfurt Parkers zerfaserte Melodiefragmente in seine fließenden Linien einbindet, in Spannungsbögen weit schwingen lässt und die Grundharmonien ausreizt, ohne die ganz zu verlassen, dann zeugt dies von Reife und Souveränität im Umgang mit dem Ursprungsmaterial und zugleich von Originalität des eigenen künstlerischen Schaffens. In diesem Sinne sind auch die typischen kurzen Soloausflüge zu sehen, mit denen Emil Mangelsdorff jeweils vor dem Finale nochmals das Thema der Kompositionen harmonisch variiert.
Beim Konzert in Mainz hören die Fans im überfüllten SWR-Foyer fast ausschließlich Standards, die allerdings in der Bearbeitung des Quartetts nahezu neu komponiert werden. Auch die Ramirez-Komposition „Lover Man“ ist nach den Interpretationen von Billie Holiday und Sarah Vaughan instrumental durch Charlie Parker bekannt geworden. Das Mangelsdorff-Quartett leitet sie mit einer schönen Melodielinie ein, in der Pianist Wagner das Altsaxophon mit Single-Notes unterlegt, dann aber zu einem kraftvollen Sololauf überleitet, bevor Vitold Rek auf dem Kontrabass eine „straight“ marschierende Linie zupft, die in eine kurze gestrichene Passage einmündet. Dies alles unterstützt Janusz Stefanski mit sensibler Besenarbeit auf den Trommeln und Becken. Das anschließende „Nica´s Dream“ kontrastiert als Up-Tempo-Stück mit starker rhythmischer Betonung und Uni-Sono-Spiel von Saxophon, Piano und Bass sowie energetischen Breaks auf dem Schlagzeug.
Das Quartett erweist sich als homogenes und traumhaft aufeinander eingespieltes Ensemble, das allen ausreichend Platz für Solo-Ausflüge einräumt. Thilo Wagner brilliert in sanften Single-Notes-Einwürfen ebenso wie in Block-Akkord-Schichtungen und rasanten Bebop-Läufen, Vitold Rek fasziniert mit seinen verzierenden und harmonisch reizvollen Linien sowie den Con-Arco-Passagen mit Verfremdungen, während Jaunusz Stefanski ein stets einfühlsamer und flexibel reagierender Drummer ist, der selbst in Power-Passagen dynamisch zu differenzieren weiß.
Überraschungen und Neuigkeiten bietet das Emil Mangelsdorff Quartett nicht. Dennoch genießt der Zuhörer diesen kammermusikalischen, modernen und in dieser Form zeitlosen Jazz in vollen Zügen. Verständlich, dass das Publikum mit anhaltendem Beifall einen mitreißend groovenden „Blues in B“ erzwingt.