Ein musikalischer Kosmopolit
Rund um Stuttgart gilt Charlie Mariano geradezu als Einheimischer – mit Wolfgang Dauners „United Jazz + Rock Ensemble“ feierte er ab 1975 beachtliche Erfolge. Zu einem wahrhaftigen Hit wurde in dieser „Band der Bandleader“ seine Komposition „South Indian Line“, wo Mariano als subtiler Interpret noch mit dem indischen Blasinstrument Nagaswaram betörte. Der Amerikaner war bereits ein musikalischer Weltmensch, als es den – verkommerzialisierten – Begriff der „Weltmusik“ noch gar nicht gab. Bei seinem Spiel schwingt und swingt stets tiefe Humanität mit, Mariano kennt man als einen durchweg freundlichen und bescheidenen Herren, der mit jugendlichem Feuereifer zu den Saxophonen und Flöten greift. Da mag man beinahe vergessen, daß der mittlerweile 74jährige Mariano längst als eine jazzhistorische Persönlichkeit gilt.
Geboren wurde Carmine Ugo Mariano am 12. November 1923 in Boston. Im Hause der italienische Einwandererfamilie wurde eifrig Musik gepflegt, eine solide Jazzausbildung erfuhr er noch in seiner Heimatstadt – und an der dortigen Berklee School sollte Mariano später auch als Dozent wirken. Nachdem er viele Jahre in Combos gespielt hatte, kam der Altsaxophonist 1953 zum „progressiven“ Stan Kenton Orchestra. In dieser hatte er eine seiner wichtigsten Jazzerfahrungen: er spielte mit seinem Instrumentalkollegen Charlie Parker, nicht nur für Mariano ein „Genie“, zusammen. Der am 16.2.1953 in New York aufgenommene Titel „You Father’s Moustache“ ist inzwischen auch auf CD zu haben.
Unzählig sind die Tonträger, die von Charlie Marianos subtilem Spiel bereichert werden. Als einfühlsamer Solist und als versierter Notist ist er gleichermaßen geschätzt. Da wirkte er beispielsweise 1962 beim „Town Hall Concert“ des eigenwilligen Bassisten Charles Mingus mit, und dem „Modern Jazz Quartet“ leistete er drei Jahre später orchestralen Beistand. Doch Mariano beschränkte sich nicht auf den amerikanischen Kontinent. In Japan war er mit der Pianistin und Komponistin Toshiko Akiyoshi verheiratet. Ausgiebig studierte Mariano asiatische Musikvarianten und Instrumente in Malaysia und Indien. Mit dem „Karnataka College Of Percussion“ konnte er weltweit Erfolge verbuchen.
Anfang der siebziger Jahre wurde der umtriebige Musikant in Europa heimisch. Der Globetrotter brachte seine universales Idiom zunächst in die holländische Formation „Supersister“ und in die deutsche Gruppe „Embryo“. Besonders wichtig wurde die Kooperation mit dem gewitzten Keyboarder Jasper van’t Hof, zunächst in der Band „Pork Pie“. Auch in der Gruppe „Colours“ des Bassisten Eberhard Weber sorgte Mariano für nuancierte Klangfarben. Mit Weber musizierte er zudem auch im „United Jazz + Rock Ensemble“.
Ein offenes Ohr für ungewöhnliche Rhythmen, Skalen und Sounds bewahrte Mariano fortwährend. So war es auch nicht verwunderlich, daß er intensiv mit dem nun in München lebenden Libanesen Rabih Abou-Khalil (Oud) zusammenarbeitete. Mit dem etliche Jahre in Waiblingen wohnenden argentinischen Bandoneon-Virtuosen Dino Saluzzi betrieb der amerikanische Saxophonist Tangos von der verjazzten Art. Ein musikalischer Kosmopolit und ein Verweigerer von kulturellen Eingrenzungen ist Charlie Mariano fürwahr, dabei verliert er nie seine eigene künstlerische Identität, bei der persönliche Ausdrucksstärke wichtiger ist als seelenlose Virtuosität. Konsequent erscheint da nur, daß er auch 1991 in Bochum bei einem programmatischen Projekt mitmischte. Dessen Namen: „International Commission For The Prevention Of Musical Border Control“.
Nicht nur folkloristische Musik fand bei Charlie Mariano großes Interesse, der Saxophonist setzte sich auch improvisatorisch mit der europäischen E-Musik auseinander. Sowohl über Kompositionen von dem polnischen Romantiker Frédéric Chopin als auch die „Verklärte Nacht“ von dem Zwölftöner Arnold Schönberg entwickelte er Saxophonlinien.
Charlie Mariano am Eröffnungstag des Festivals im Beethovensaal der Liederhalle einen ganzen Themenabend zu widmen, war eine kluge Entscheidung der JazzOpen-Macher. Diese Ehrung erfuhren zuvor die toten Rocker Jimi Hendrix und Frank Zappa, im letzten Jahr wurde der 60jährige Klaus Doldinger gefeiert. Bei aller Rückblende möchte Charlie Mariano in Combos – vorm Trio bis zum Sextett – aktuell gebliebenen Partnerschaften vorstellen. Da singt unter der Rubrik „American Roots“ Dianne Reeves, bei „The European Influence“ wird Pianist Wolfgang Dauner herausgestellt. In der „Arabian Connection“ greift Rabih Abou-Khalil in die Saiten der Oud, die „Meditations Of India“ werden durch den hellwachen Perkussionisten Trilok Gurtu mitgestaltet. „The International Tango“ erhält durch Dino Saluzzi (Bandoneon) direkte Authentizität.
Nicht nur durch live-Übertragungen und Aufzeichnungen des Fernsehens läßt sich viertägige Festivität auch außerhalb des Kultur- und Kongresszentrums: per Internet kann man sich direkt und individuell einklinken. Unter http://www.jazzopen.de kann man mittels fest installierter „web-cams“ am heimischen Computer wahlweise ins Publikum, hinter die Kulissen oder aufs Podium blicken. Man kann online Fragen an die Stars stellen – oder auch seine eigene Konzertkritik ins Netz stellen. Auch die von Uwe Leiber konzipierte Jazz-Homepage des Süddeutschen Rundfunks (http://www.sdr.de) beteiligt sich am swingenden Treiben mit Bits und Bytes, wenn neben den Informationen über Programmablauf auch noch die gespielten Musikstücke benannt werden.