Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Dave Liebman lebt die Musik. Wenn der Mann, der mit dem Tenorsaxophon in der Tradition von John Coltrane stand, nach seinem Umstieg auf der Sopransaxophon sich jedoch mehr Miles Davis näherte, beim Spiel scheinbar dirigierend die Hand hebt, als ob er den jungen Partnern seiner „Expansions“ Zeichen geben will, dann spürt der Zuhörer sein Aufgehen in der Musik. Dabei hat die junge, aber virtuose Mannschaft mit dem Pianisten Bobby Avey, dem Saxophonisten, Klarinettisten und Flötisten Matt Vashlishan und dem Schlagzeuger Alex Ritz solche Anleitungen nicht nötig – noch weniger der langjährige Begleiter Tony Marino am Kontrabass. Sie alle können ohne Mühe den komplizierten Harmonien und ausschweifenden melodischen Erfindungen des stilbildenden Altmeisters folgen. Zumal der Pianist und der Schlagzeuger eigene Kompositionen zu dem Programm in der Rüsselsheimer „Jazzfabrik“ beisteuern.
Ruhige und fast tastende single-Note-Tupfer sowie lyrische Akkordreihen wie in der Komposition „Continue to ignore“ des Pianisten Avey, sind die Ausnahme in diesem Konzert. Zumeist spielen die fünf Musiker hoch energetisch und expressiv, getrieben von dem pulsierenden Schlagzeug. Ob nun in „Puzzle“ oder „Hat Trick“, das Quintett um den Altmeister präsentiert eine freie und ekstatische Musik voll innerer Spannung, mit einer stetig steigenden Intensität und expressiven Soli auf dem Sopransaxophon Liebmans sowie der Klarinette und dem Alto von Vashlishan. Oftmals laufen die Melodielinien der beiden Bläser parallel in der Zweistimmigkeit bis sie sich im Unisono finden.
Doch zurück zu Bobby Avey, der 2007 sein Studium mit „summa cum laude“ abschloss und das Monk Competition gewann. In seinem ausgedehnten Solo entwickelt er aus romantisch angehauchten Lyrismen wuchtige Bassakkordschichtungen, während Liebman auf dem Sopransaxophon seine Riffs mit starkem Vibrato bläst und sich in einem Duo mit der Klarinette Vashlishans vereint. An anderer Stelle kommentiert sein Stakkato-Spiel die singenden Linien des Altsaxophons. Dann lässt Liebman sein Instrument grell aufschreien.
Hin und wieder greift der fast 70-Jährige zur kleinen Holzflöte, steigt mit ihrem Ton in die höchsten Lagen, lässt sei vibrierendes Spiel von der flirrenden Querflöte Vashlishans beantworten, während Alex Ritz auf der Rahmentrommel den Rhythmus bestimmt. Der Schlagzeuger ist in den gut einhundert Minuten ein geforderter Mitspieler, der mit seinem polyrhythmischen Ansatz selbst die komplexesten Taktarten bewältigt und zugleich melodisch trommelt. An manchen Stellen sind gar Hinweise auf afrikanische Trommeltraditionen zu erkennen. Über seinem vielschichten Geflecht bauen die Bläser ihre ausschweifenden Soli und Duos auf, greift oder streicht Marino seine harmonisch reizvollen Läufe. Zumeist aber stützt er die Bläser mit marschierendem Straight-Spiel.
Egal, ob „Expansions“ nun als „Erweiterung“ oder „Wachstum“ verstanden wird, die neue Formation entwickelt zu dem typischen Liebman-Sound eigenständige Klangfarben. Das begeisterte Publikum wird mit einer langen Zugabe belohnt.