Das Trio des Trompeters Arve Henriksen spielte beim Haller Jazzclub in der Hospitalkirche


Alle Photos auf dieser Seite: Hans Kumpf

Elektronisches bestimmte das erste Konzert des Jazzclubs in der aktuellen Saison. In der Hospitalkirche fristeten bei der Performance des norwegischen Trompeters Arve Henriksen die akustischen Instrumente und swingende Momente ein Schattendasein. Als Mitveranstalter fungierte das städtische Kulturbüro.

Schwäbisch Hall. Vor vier Jahrzehnten galt der mehr Trübsal als Saxophon blasende Jan Garbarek als das große Aushängeschild von Norwegens Jazz. Immerhin konnte sich der experimentierfreudige Gitarrist Terje Rypdal schon früh in die mitteleuropäische Avantgarde-Szene integrieren. Dann ließ der Trompeter Nils Petter Molvær aufhorchen – mit seinem immens elektrifizierten Horn. Mächtig melancholisch kam dann ebenfalls der digitalisierte Blechbläser Mathias Eick daher.

Nun also mit Arve Henriksen wieder ein norwegischer Trompeter, der voll auf Steckdose setzt. Nicht nur er, sondern auch sein Schlagzeuger Audun Kleive und Helge Sten, dessen Gitarre eigentlich nie natürlich sondern nur elektronisch transformiert erklingt, sind so richtige „Stromer“. Überaus spartanisch gibt sich das Drumset von Kleive: Basstrommel, Konzerttrommel und HiHat. Dann eine kleine Handtrommel in der Art einer arabischen Darabukka. Aber im Computerzeitalter vereinnahmt er sensible Pads, mit denen er weniger griffige Rhythmen als zarte Klangbänder produziert.

Als ausgesprochener Virtuose und instrumentaler Strahlemann kommt Trompeter Arve Henriksen nicht daher. Der 44-Jährige begann den Abend mit einem großintervalligen Motiv, das er immer mehr ausweitete. Luftig der Ton und – in der barocken Hospitalkirche – ein künstlich erzeugter Nachhall wie in einer riesigen Kathedrale. Dazu mischt sich nachfolgend bei den langen Gruppenimprovisationen fernes Glockengeläut der virtuellen Art ein. 

Von Helge Sten (alias martialisch „Deathprod“) kommen tiefe Klänge, die ohrengefällig in ihr Obertonspektrum gesplittet werden. Später legt er immer wieder plüschige Klangteppiche hin. Steter Nachhall schafft Raum und Weite. Eine Wohlfühlatmosphäre eben. 

Mit den Besen reibt Audun Kleive behutsam auf dem Trommelfell. Der adäquate Einsatz von Apple-Notebooks und speziellen Synthesizer-Apparaturen vervollkommnet eine esoterische Stimmung, alles schön friedlich und harmonisch mit fein-reinen Sinustönen – nichts von aufgekratzten Sägezahngeneratoren oder knallhartem Impuls-Knacken. 

Gelegentlich mag man sich sogar an die rockjazzige „Bitches Brew“-Produktion (1969) von Miles Davis erinnern, andererseits auch mal kurz an die aufkreischenden Rückkopplungseffekte eines Jimi Hendrix. Hohe Dezibelgrade bleiben jedoch bei der Gesamtkonzeption des Trompeters Arve Henriksen, der sich außerdem als Vokalist oft im Falsett phonetisch und semantisch präsentiert, eher die Ausnahme.

Markant die musikalischen Ausflüge der drei Norweger ins ferne Japan. Auf der „normalen“ Trompete und der handlichen „Pocket-Trumpet“ imitiert Henriksen da Dank elektrotechnischer Modulation ausgiebig pentatonisch die mystische Shakuhachi-Bambusflöte, und quasi aus dem „Off“ herbeigezaubert ist dazuhin die liebliche Koto-Zither zu hören.

Das Hospitalkirchen-Gastspiel des norwegischen Trios mit David Solheim als viertem Mann am zentralen Mischpult stellte für Fans aus dem Raum Stuttgart eine Attraktion dar, aber nicht einmal die Hälfte der hiesigen Jazzclub-Mitglieder war bei diesem extravaganten Ereignis zugegen.

So fand die wirklich gemeinsam kreierte Zugabe in kleiner Runde statt. Wie ansonsten bei Bobby McFerrin üblich, wurde das geneigte Publikum gebeten, aus der bloßen Rezipienten-Rolle auszusteigen und selbstaktiv die eigenen Stimmbänder zu strapazieren. Darüber hinaus animierte Arve Henriksen noch, die in den noblen Veranstaltungssaal mitgebrachten Gläser in Schwingung zu versetzen. So bereitete das ziemlich swinglose und völlig bluesfreie Jazzkonzert schließlich und letztendlich jedem Spaß.

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