John Tchicai mit 76 Jahren verstorben
John Tchicai war bei aller Emotionalität seines Spiels ein überlegender und klar strukturierender Musiker. Mit seiner melodischen und linearen Spielweise präsentierte sich der im April 1936 in Kopenhagen geborene Afro-Europäer bereits bei der legendären Einspielung von John Coltranes „Ascension“ aus dem Jahr 1965 als Gegenspieler der eruptiven Kollegen Pharao Sanders und Archie Shepp. Der Saxophonist, der als einziger Europäer die amerikanische Avantgarde mit prägte, starb am 8. Oktober im Alter von 76 Jahren in seiner Wahlheimat bei Perpignan, nachdem er bereits seit Juni 2012 nach einer Hirnblutung im Koma gelegen hatte. Die Mitglieder des Jazzclubs Rheinhessen und Fans im Rhein-Neckar-Raum haben John Tchicai und seine spirituell ausgerichtete Musikauffassung in intimen Konzerten unter anderem mit dem Bassisten Vitold Rek hautnah oder in anderen Formationen mehrfach erlebt.
Bei den beiden Konzerten auf Einladung des Jazzclubs faszinierte das Duo Tchicai und Rek mit einem intimen Zusammenspiel von spiritueller Dimension und mit dem Ausloten der Grenzen traditioneller Harmonien. Free Jazz-Phrasen und Stakkato-Geschnatter auf dem Tenorsaxophon kontrastierten zu den flirrenden Linien und schrägen Akkorden auf dem gezupften und gestrichenen Kontrabass. Aufregend kontrastreich war auch der Auftritt Tchicais mit Peter Brötzmann bei der Mainzer Jazzwoche im „unterhaus“ in den 80er Jahren.
Tchicai wurde 1936 als Sohn einer dänischen Mutter und eines kongolesischen Vaters in Kopenhagen geboren. 1963 zog es den jungen Saxofonisten ins Jazz-Mekka New York. Dort wurde er an der Seite von Archie Shepp zu einem der Gründungsväter der Formation New York Contemporary Five. Später kam Tchicai nach Europa, wo er zu einem der führenden Köpfe des Free Jazz aufsteigen sollte. Mit Auftritten mit Szenegrößen wie John Coltrane, Milford Graves oder Steve Swallow machte der Musiker von sich reden.