Seine Moderation und Liedtexte wie in „Boo Boooz Bloooz“ wirken fast valentinesk, absurd wie sein Outfit ist sein Vokabular, stilistisch pendelt er zwischen dem frühen Michal Urbaniak und späten Stephane Grappelli, und wenn Nigel Kennedy zur elektrischen Violine greift, dann ist sein Spiel eigenständig, schräg sowie genial in der Klassik wie im Jazz. Jenen präsentiert er beim Festival „Worms Jazz & Joy“ in mehr als drei Stunden mit einer ausgezeichneten jungen Band aus Polen und ausschließlich eigenen Kompositionen.
Die brillante Technik befähigt Kenndy zu Improvisationen von lyrischer Sanftheit in tiefen Lagen bis zum aggressiven High-Note-Spiel, seine Pizzicati verfremdet er mit Loop und Echo, er setzt mit rasendem Strich Kontraste zum sonoren Tenorsaxophon von Tomasz Grzegorski. Mit diesem breitet Nigel Kennedy zur mitternächtlichen Stunde in „Invaders“ exotische Klangflächen in Unisono-Passagen und Mehrstimmigkeit aus, bewegt sich im Mittelteil hin zu Bebop, Klassik und Avantgarde, verarbeitet arabische Skalen und europäische Tonleitern, um schließlich zum Thema und in einem rasanten Up-Tempo-Spiel zum Schluss zu kommen. Bei all diesen Eskapaden sind dem Geigen-Virtuosen der Saxophonist, der präzise rockende Drummer Pawel Dobrowolski, der stets straight marschierende Bassist Adam Kowalewski und der romantisierende Pianist Piotr Wylezol verlässliche Begleiter. Zwischendurch erweist Kennedy mit dem Crackers-Gitarristen Rolf Bussalb und „Nuages“ dem legendären Django Reinhardt die Ehre.
In der Pause lässt sich der Besucher eine Stippvisite bei der Rock-Röhre Inga Rumpf nicht entgehen, genießt unter anderem deren Interpretation von Bessie Smiths „Bad Water Blues“, die rauchige und ausdrucksstarke Stimme, ihr Spiel aus der Dobro-Slide-Gitarre sowie die treibenden Grooves der Band.
Worms „Jazz & Joy“ betont in diesem Jahr stärker als in den vorhergehenden den Jazz. Dies gilt für der Schauspieler und Sänger Uwe Ochsenknecht mit seiner Band, der vor einem begeisterten Publikum Rock, Blues, Soul und Salsa mischt und auf den Congas percussives Talent beweist, ebenso wie für Nik Bärtsch´s Ronin, eine Gruppe, die in schier endlosen Piano-Ostinati und Motivvariationen mit Geschnatter auf der Bass- und Subkontrabassklarinette, mit Donnergrollen vom großen Gong, Gitarrenglissandi und Elektronik die Grenzen des Jazz zu experimentell mystischen Klangwelten ausdehnt. Für die musikalische Bandbreite des Festivals im Jazz und Jazzverwandten steht auch die Neufassung von Piazzollas Tangos mit neuer Musik, Klassik und Jazz bei Vibratanghissimo.
Eher kammermusikalisch wirken die Interpretationen, mal sanft und fast verträumt trotz der fließenen Linien auf dem Vibraphon von Olli Bott. Für das breit gefächerte Konzept steht auch die schnörkellosere und rockige Wiederauferstehung von Kraan mit dem Bassisten Hellmut Hattler, der wiederum über die famosen „Tab Two“ mit dem Trompeter Joo Kraus musikalisch verbandelt ist. Kraus ist in Worms zum Abschluss des Festivals mit dem magischen Tastenzauberer Omar Sosa zu hören, in dessen World Jazz Marokko und Kuba, Salsa und Rap, Jazz und Folk verschmelzen. Zu den rasanten Läufen auf dem Flügel und den Geräuschen sowie Ton-Wort-Fetzen aus den Samplers gesellen sich die ätherischen Klänge der Trompete, die dann auch mit Hall und Overdubbing irrlichtert.
Programmgestalter Stefan Traub präsentiert daneben kammermusikalische Preziosen wie das Solokonzert des Bassisten Ralph Gauck, der als ein Meister der leisen Töne den Beatles und Sting die Ehre erweist oder Mericimsi, in der die Sängerin Meric Yurdatapan den Swing des Jazz und die Rhythmik Lateinamerikas mit den Melismen und Harmonieformen ihrer türkischen Heimat verschmelzen lässt. Ihre warme und helle Kopfstimme trägt in lyrischen Melodien zu perlenden Pianoläufen, ihr flirrendes Flötenspiel wird von Percussion unterstrichen. „Tomorrows Dream“, der Titel ihrer neuen CD, charakterisiert treffend das virtuose akustische Duo Susan Weinert an der Gitarre und Martin Weinert am Kontrabass.
Ein aufregend humorvolles Erlebnis bereitet das Quartett „Paperfactory“ mit ungewöhnlichen Experimenten, in denen die Synthesizer-Elektronik von Hans Joachim Irmler einen Soundteppich webt, über dem Mike Adcock mit Akkordeon sowie allerlei Glöckchen und Steinchen, Mike Bell mit der japanischen Flöte Shakuhachi sowie Sirenen und letztlich Mike Svoboda mit der Posaune, der großen Südseemuschel sowie einem Didgeridoo-kompatiblen Abflussrohr neue Klangbilder zeichneten. Dass der Jazz aus New Orleans viel Raum hat, ist in Worms Tradition. In diesem Mainstream setzt der Sänger Bill Ramsey mit seiner rauen und ausdruckstarken Stimme, der souveränen Jazz- und Blues-Phrasierung und in Begleitung des phantastisch swingenden Jörg Seidel-Trios einen weiteren Höhepunkt.