Trondheim Jazz Orchestra mit Joshua Redman in der Jazzfabrik, 6. März 2013

Text & Fotografie: Klaus Mümpfer

Diese Musik überrascht mit immer neuen Kontrasten und Gegensätzen. Aggressiver, orchestraler Sound grenzt ans Crescendo, stürmt mit voller Kraft und Energie auf die Zuschauer ein und trifft bei „Marching Home Mingu“ mit der ekstatischen Intensität den Charakter der legendären Bigband-Sounds von Charles Mingus, dem diese Komposition des Trondheim Jazz Orchestras gewidmet ist. Und dennoch hebt diese Power-Demonstration mit einer sanften, nahezu gehauchten Intro des Saxophonisten Joshua Redman vor den gezupften Celli an, steigert sich in Intensität und Tempo, in auf- und absteigenden Linien sowie in spitzen High-Note-Schreien – anhaltend in Zirkularatmung.

Wenig später erleben die Zuhörer in der ausverkauften Hinterbühne des Rüsselsheimer Theaters mit der Bearbeitung von „Adagio“ eine getragene und leise Huldigung des Klassikers Johann Sebastian Bach mit flirrenden Flöten und dem warmen Ton des Frenchhorns. 

Das Trondheim Jazz Orchestra mit seinem Leiter und Komponisten Eirik Hegdal steht musikalisch in der Tradition des großen Charles Mingus ebenso wie in der des unvergessenen Eric Dolphy, dem das Orchester mit „Around Noon“ ein Denkmal setzt. Wie der früh verstorbene Multi-Instrumentalist und Komponist löst sich die norwegische Großformation von traditionellen Bindungen in Richtung zum Free Jazz, ohne je die Grenzzäune völlig einzureißen. Wie Dolphy zeigt das Orchester ein Gespür fürs Dramatische und Sinn für die Form. Hegdals Kompositionen sind höchst emotional, fesseln mit Intensität und Kontrast.

Das Konzert in der Rüsselsheimer „Jazzfabrik“ beginnt mit „Customer“, das die beiden Cellisten Oyvind Engen und Marianne Lie sowie der Gitarrist Nils Olav Johansen mit gezupften Ostinati einleiten. Redman fällt mit einem expressiven Saxophonsolo ein, bevor das Orchester mit getragenen hymnischen Passagen wiederum kontrastiert. Redman und Hegdal treffen im Verlauf des Konzerts immer wieder in Ruf-Antwort-Duetten aufeinander oder blasen das Tenor- und das Bariton- oder Sopransaxophon unisono. Der Gitarrist reißt mal rasende Glissandi aus den Saiten oder webt schwebende Sounds zu einem Klangfarbenspiel, in dem er von gestrichenen Celli und der Geige Ola Kvernbergs unterstützt wird.

Hegdal hat eine Vorliebe für perkussive Kompositionen. So beginnt „Vivace“ mit einer Stakkato-Einleitung der vollen Band, wechselt dann zum gestrichenen Kontrabass, dessen Klang von sphärischen Sounds des Trompeters Eivid Lonning ergänzt wird. Die Rhythmusabteilung mit dem Schlagzeuger Tor Haugerud wechselt nahtlos von frei pulsierendem Spiel zu rhythmisch raffiniertem Swing – ganz so wie es in der Zugabe „Dingo Rag“ demonstriert wird.

Es sei die dritte Tour, die das Trondheim Jazz Orchestra mit dem Saxophonisten Joshua Redman nach dem erfolgreichen Debut beim Molde-Jazz-Festival im Jahr 2009 unternimmt, erläutert Hegdal in seiner sparsamen Moderation. Redman folgt mit dieser Zusammenarbeit einem Bekenntnis, dass er zwar aus der Tradition kommt, sie aber nie wiederbeleben wollte. Gewiss ist er in dieser Begegnung mit der freien europäischen Spielpraxis eher der Traditionalist, doch die Symbiose gelingt, weil auch Hegdal nie die Wurzeln verleugnet. Die Kollektiv-Improvisationen des Trondheim Jazz Orchestras, die Ostinato-Techniken, die Tempowechsel und die ausgeweitete Harmonik experimentieren mit Klangfarben, fußen aber zugleich in der Historie.

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