Ohne die einfühlenden und von persönlicher Hingabe zeugenden Worten des Journalisten Werner Reinke an Chris Barber hätte das Publikum des „Lahnsteiner Bluesfestivals 2013“ den alten Herrn aus Großbritannien und seine Band gewiss nicht so euphorisch gefeiert. Der inzwischen 83-järige Posaunist, der bereits Ende der 50er Jahre Blues-Meister wie Muddy Waters und Otis Spann nach Europa holte, ohne den ein Alexis Korner, Jack Burdon oder die Rolling Stones nicht solche Erfolge gefeiert hätten und der mit Ottilie Patterson ein Vierteljahrhundert zusammen lebte, hat nach den Worten des Musikpublizisten Siegfried Schmidt-Joos „immer nur gespielt, was er mit seinem guten Jazzgeschmack und Blues-Feeling vereinbaren konnte“.
Davon konnten sich die Zuhörer in der gut besuchten Lahnsteiner Stadthalle an diesem Abend überzeugen. Gewiss, da waren auch Klassiker wie die „Bourbon Street Parade“, „Ice Cream“ und „Petite Fleur“ zu hören, aber auch überzeugende Interpretationen der Miles-Davis-Komposition „All Blues“ mit einem dreistimmigen Saxophon-Part und einem mitreißenden Solo des Trompeters Mike Henry. Zwischendurch nuschelte der Altmeister in Deutsch seine Anekdoten aus 60 Jahren Historie der Barber Band, sang sein „My precious love“ und das bewegende „Going home“. Gemeinsam mit der Band beschloss eine Duke Ellington-Komposition kraftvoll sowie mit sattem Bläsersound den Barber-Band-Auftritt, der vom Publikum mit stehenden Ovationen gefeiert wurde.
Zuvor hatte Werner Reinke dem strahlenden Chris Barber den Lahnsteiner Ehrenpreis, die Büste des Blues-Louis, überreicht. Es sei für ihn eine besondere Ehre, nach 60 Jahren diesem Mann, von dem er schon als Knirps begeistert war, den „wundervollen Preis“ überreichen zu dürfen sagte Reinke tief bewegt. Barber bedankte sich mit dem „Wild Cat Blues“, bei dem er den Kontrabass zupfte.
Schon eher der Enkelgeneration zuzurechnen ist Martin O. (Ullrich) aus dem schweizerischen St. Gallen. Der 1975 geborene Künstler fällt eigentlich ebenso aus der Reihe der gewohnten Lahnstein-Künstler wie Chris Barber. Die Festival-Macher haben mit dem diesjährigen „Blue Horizon“-Programm im Rahmen des rheinland-pfälzischen Kultursommer-Mottos „Eurovisionen“ Mut bewiesen und wurden von dem begeisterten Publikum reichlich belohnt.
Blues-Sänger, Kabarettist oder Vokalartist mit Clown-Elementen? Martin O. ist wohl alles zugleich. Beim Soundcheck am Nachmittag verriet seine Kehlkopf-Akrobatik mit der Verfremdung in Loops, elektronischen Schleifen, Hall und Echo seine Liebe zum freien und experimentellen Jazz. Im Konzert legte er den Schwerpunkt auf den eher traditionellen Blues-Gesang mit satirischen Polit-Texten in Songs wie „My money stays by me“ oder in einer „Sting“-Komposition auf Schwyzerdeutsch. Dem faszinierten Publikum präsentierte er seine selbstgebaute Loop-Anlage aus Hochgebirgs-Tannenholz, die er von einem Computer ansteuert, den sein Technik-Partner Klaus-Anton Bichler programmiert. So war Martin O. an diesem Abend wieder mal „Der Mann, der mit der Stimme tanzt“.
Ein wenig weiter in Richtung des „blue horizon“ bewegte sich nach den Worten des Moderator Arnim Töpel das Trio Crimshaw von der Isle of Wight vor der britischen Südküste. Der aufmerksame Zuhörer vermag kaum zu sagen, was er mehr bewundert: die Stimme der Sängerin Angelina Crimshaw, deren Timbre der früh verstorbenen Amy Winehouse ebenso nahe kommt wie der Jazz- und Blues-Sängerin Bessie Smith, oder das filigrane Fingerpicking-Spiel und die Bottle-Neck-Glissandi des Bruders J.C. auf der Gitarre und der Mandoline? Gemeinsam mit dem Bassisten Paul Armfield und dem deutschen Gast-Pianisten Daniel Zein verschmelzen die Crimshaws in ihrer Musik klassischen und Country-Blues, Cajun, frühen Jazz, Folk und Mississippi-Feeling zu einer leicht swingenden Mixtur.
Mit vertrauten Lahnsteiner Klängen bediente die deutsche Formation „B.B. & The Blues Shacks“ das Publikum. An diesem Abend haben der Gitarrist Andreas und sein Bruder, der Sänger sowie Harp-Spieler Michal Arlt, den Gitarristen und Sänger Sven Zetterberg zu Gast. Die Band mit Backing-Vocals und Bläsern versprüht zum Abschluss des Blues-Festivals – den Mängeln der Technik zum Trotz – mitreißende Spielfreude. Ihre Mischung aus stampfendem Chicago-Blues, dem Blues aus Louisiana und dem Mississippi-Delta sowie Rock ´n Roll und Rhythm & Blues fetzt durch den Saal. Diese Musik verführt die Zuhörer zum Klatschen und Tanzen. Virtuos reißt Andreas Arlt die Läufe aus den Saiten oder zupft filigrane Linien in den langsamen und leisen Parts. Bruder Michael hüpft wie ein Derwisch über die Bühne und schreit sich die Seele aus der Brust. Dagegen wirkt der Gast aus Schweden trotz seiner unbestreitbaren Fähigkeiten fast ein wenig blass.
Einleitend hatte der Blues-Musiker und Moderator Arnim Töpel mit Händeklatschen auf seinen Körper und dem Song „Wenn der Blues kommt“ das Publikum auf den Festival-Abend eingestimmt. Nach den fünf Stunden mag man ihm zustimmen, dass nach dem machtvollen Erscheinen des Blues nichts mehr so war wie zuvor.