hr-Bigband mit „Jazz meets Dada“ in der Rüsselsheimer Jazzfabrik, 19. März 2009

Sein Gedicht „bfirr, bfirr“ umfasst gerade mal zwölf solcher Buchstaben-Absurditäten, das Poem „brulba dor daula dalla“ immerhin vier Strophen. Hugo Ball war neben Tristan Tzara und dem Bildhauer Hans Arp einer der Gründer des Dadaismus – damals im Jahr 1916 im Züricher Club Voltaire. In der Rüsselsheimer „Jazzfabrik“ ist jetzt der Dadaismus dem modernen Bigband-Jazz begegnet. „Atonaler Swing“, Instrumentengeschnatter und Stakkatoläufe, elektronisch verfremdete Vokalisen, eruptive Gitarrenläufe offenbaren Seelenverwandtschaften beider in der Revolte gegen überkommene Kunsttraditionen. Die Bigband des Hessischen Rundfunks unter der Leitung von Nicolai Thärichen, der Sänger Michael Schiefel und der Kabarettist Michael Quast , erneuerten zeitgemäß, was damals zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon einmal von kurzer Dauer etwa in der Person des Komponisten Erwin Schulhoff vollzogen worden war.

„Jazz meets Dada“ ist ein hoch gesteckter Anspruch, der dem ersten Eindruck nach nicht konsequent umgesetzt wird. Eine kabarettistisch aufbereitete Geschichte der Musik von der Steinzeit bis in die Zukunft, eine Reihe der Bigband-Arrangements und Soli faszinieren in der künstlerischen Vollendung, haben aber wenig mit Dadaismus zu tun. Wer jedoch rückblickend das Programm als zielstrebig auf dem Weg zur offensichtlich unausweichlichen Begegnung von Jazz und Dadaismus sieht, kann die Kritik am Konzept erheblich einschränken.

Hugo Ball ist der Poet, dem die Bigband, Schiefel und Quast fast ausschließlich huldigen. „Seepferdchen“ interpretiert das hr-Vokalensemble im skurrilen Sprechgesang zu „Geräuschen aus der Natur“ auf dem Instrumentarium der Band. Quast zitiert wohl unbewusst den verstorbenen Jazz-Autor Joachim Ernst Berendt aus dessen mystischer Phase mit den Aussagen „Die Welt ist Klang“ und der „Kosmos ist Swing“. Mit der Albert Mangelsdorff-Komposition „Meise vorm Fenster“ verbeugt sich die Bigband vor ihrem legendären Kollegen. Christian Jaksjö wird dem Posaunen-Titanen mit einem warmen und runden Solo gerecht.

 Assoziationen zu Dada wecken der Trompeter Axel Schlosser und der Altsaxophonist Oliver Leicht in einem schnellen Ruf-Antwort-Spiel mit attackierenden Stakkati. Kontrastierend setzt Tony Lakatos bei Hugo Balls Poem „Totenklage“ lang geschwungene Melodiebögen in einem singenden Sound. Bei einer musikalischen Doppelrolle in „Duet for one“ beweist der Sänger Michel Schiefel komödiantisches Talent, doch als wahrer Kehlkopf-Akrobat besticht der Sänger mit skurrilen Vokalisen, Verfremdungen mittels Hall und elektronischen Schleifen vor allem in „Keep it yourself“. Der Sänger belegt die Aussage Michael Quasts, dass die menschliche Stimme das dadaistischste aller Instrumente sei.

Es sind begleitende kleine Einlagen, die das Programm um genregerechte Absurditäten bereichern, wenn etwa Pianist Dieter Reiter den Flügel mit einem Tuch poliert und ein zweiter Musiker einen Staubsauger anwirft, während die Bigband „Chattanooga Choo Choo“ in leicht persiflierendem Arrangement spielt oder Sänger Schiefel Spielkarten legt. „Schließlich“, so Quast, „wird die Musik oft genug bei Hausarbeiten als Nebengeräusch konsumiert“.

Quasts „Kartoffel-Rap“ kann durchaus in der Nähe des Dadaismus eingeordnet werden, das Bigband-Arrangement und der Gesang der Frankfurter Volkshymne „Fraa Rauscher“ ist dagegen wohl mehr bei den Comedians angesiedelt. Das begeisterte Publikum feiert die Künstler nach dem unterhaltsamen Programm, dem mitreißenden Bigband-Jazz und den glänzenden Soli frenetisch. 

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