Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Indische Musik kann sehr hermetisch sein, denn sie gehorcht ganz anderen Gesetzen, als die abendländische. Da helfen selbst Kenntnisse über Kontrapunkt und Harmonielehre wenig. „Geben Sie sich ganz dem Sound hin und hören Sie die Musik um ihrer selbst willen“, fordert deshalb der Multiinstrumentalist Gernot Blume beim Konzert mit Julie Spencer in der Binger Bühne seine Zuhörer auf. „Finden Sie den imaginären Punkt zwischen Ost und West“, fügt er hinzu, denn Blume und Spencer wollen beim zweiteiligen Konzert Jazz meets India“ den Bogen von der klassischen nordindischen Musik zum modernen Jazz spannen.
Mit Sitar und Tabla entführen die beiden Künstler im „Raga Yaman“ die Besucher zunächst in die fast mystische Klangwelt Indiens mit ihren festen Strukturen sowie modalen Skalen, die „nicht aus Akkorden, sondern Tonleitern“ mit Mikrointervallen aufgebaut sind. Blume zupft auf der Sitar erläuternd den Grundton sowie die Haupttöne „“Vadi“ und „Samvadi“. Im Raga entwickelt der Spieler einen musikalischen Gedanken, schmückt ihn improvisatorisch aus, führt den Dialog mit der zweiteiligen Tabla. Der Raga wird in der „Alap“ genannten Einführung entfaltet und im Hauptteil „Gat“ mit Phrasen sowie wichtigen und typischen Bending-Schleiftönen angereichert. All dies entwickelt Gernot Blume für die offenen Ohren der Zuhörer im Gewölbekeller der Binger Bühne nachvollziehbar auf dem Klangteppich des elektronisch eingespielten Bordun-Grundtones. Während der metrumfreie „Pulse“ zunächst meditative Stimmung erzeugt, lässt der rhythmisierte Dialog mit Julie Spencer und ihrem Tabla-Pärchen die Fußspitzen wippen. Der Raga strebt mit Tempo- und Intensitätssteigerung einem Höhepunkt zu, verharrt in einer Ruhepause und eilt anschließend mit Schlägen und Wirbeln auf den Tablas dem Finale des „Raga Yaman“ entgegen, der an diesem Abend zugleich zu einem Lehrstück indischer Musik geriet.
Einen völlig anderen Sound kreiert Gernot Blume mit seiner „Ragitarre“, einer elektrischen Gitarre, die auf indische Klangfarben gestimmt ist, nicht aber den schnarrenden Ton einer „Electric Sitar“, sondern eher den Sound des Blues pflegt. Die begleitenden vielschichtigen Rhythmen auf Becken, Trommel und Congas laufen oftmals eigenständig parallel zur Gitarre, passen dennoch unterstützend. Spncer trommelt polyrhythmisch, streicht mit dem Bogen die Becken, lässt die mit Sand gefüllten Rahmentrommeln kreisen
Improvisationen über verschiedene Raga-Themen füllen den zweiten Set dieses ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Konzertes. Weckte der näselnde Sound der Nagaswaram Oboe noch Assoziationen an fernöstliche Klangwelten, pendelt Blume am Piano zwischen Keith Jarretts Romantizismen und Abdullah Ibrahims hymnischen Beschwörungsformeln, schichtet Spencer Blockakkorde in sperrigen Klavier-Läufen oder fügt ostinate Single-Note-Figuren in perlende Linien. Blume und Spencer nehmen die Zuhörer auf einem Parforce-Ritt durch die Welt des zeitgenössischen Jazz mit, beziehen die Geige, eine bolivianische Flöte, Harfe und das vielfältige Percussionsinstrumentarium in diese Auffächerung mit ein. Raga-Themen sind dann kaum noch zu erkennen, auch wenn der Grundton ständig mitäuft.
Gernot Blume belohnt die begeisterten Besucher abschließend mit einem vertraut klingenden cantablen Harfensolo von schlichter Schönheit.