Struktur und Emotion sind für den israelischen Bassisten, Pianisten, Sänger und Komponisten Avishai Cohen Schlüsselwörter. Seine Musik ist eine kunstvolle Mixtur aus Jazz, Klassik und Folklore, der Vokalmusik des Nahen Ostens, der Rhythmik Nordafrikas sowie Elementen aus Latin, Blues und Funk. Die Erweiterung seines renommierten Trios mit dem Pianisten Shai Maestro und dem Percussionisten Itamar Doari um den Oud-Spieler Amos Hoffmann und die Sängerin Karen Malka unterstreicht beim Konzert der „Jazzfabrik“ die Liebe und Verpflichtung des in Tel Avis lebenden 38-Jährigen zu seinem kulturelle Erbe.
Cohen spielt seinen Kontrabass oftmals kraftvoll percussiv, klopft mit Handballen und Fingern auf dem Korpus, während die rechte Hand ostinate Akkorde greift. Hoffmann zupft derweilen auf der elektronisch abgenommenen Oud mit dem Plektrum (statt dem traditionellen Federkiel) die Melodie, Cohen singt in Hebräisch bevor die gesamte Band mit „full power“ und „up tempo“ das Thema vorantreibt. Itamar Doari erhält die Gelegenheit zu einem ausgedehnten und rhythmisch treibenden Solo auf der afrikanischen Trommel Djembe, der Holzkastentrommel Cajun sowie mit Schellenbändern am Fuß.
Die Kompositionen sind lyrische, filigrane, aber nichtsdestoweniger rhythmisch sowie ausdrucksstark mitreißende Kunstwerke, die bis auf die ideenreichen Soli klar strukturiert und notiert zu sein scheinen. Einen seiner bemerkenswerten Alleingänge auf dem Kontrabass mit zahlreichen, reizvollen harmonischen Wendungen und Verzierungen der Melodielinie zupft Cohen, teils ruhend in sich versunken, teils offensiv voranschreitend in „Aurora“, dem Titelstück seiner neuen CD. In „Two roses“ fasziniert die Mehrstimmigkeit, die Cohen in wenigen Akkordgriffen realisiert. „Aurora“ wiederum weist auch ein anderes dramaturgisches Stilmittel des Bandleaders auf: Ostinati und aufgereihte Themenvariationen – in diesem Fall von Piano und Oud. Bei „Looking for you“ präsentiert Cohen im Duo mit der Sängerin Karen Malka ein zartes Liebenslied, bei dem der Bassist am Flügel einfühlsam und lyrisch die ausdrucksvolle Altstimme seine Partnerin begleitet. In einer ersten Zugabe fasziniert er dann wieder als Bassist und Sänger mit einem Solo-Stück.
Die nahöstliche und südosteuropäische Musik fließt in einer groovenden, interkulturellen Kammermusik zusammen.
Emotion und Struktur: Cohens Kompositionen strahlen Ruhe und Gelassenheit aus, sind dennoch leichtfüßig und tänzerisch beschwingt. Melancholie und Heiterkeit stehen in einem emotional anrührenden Spannungsfeld. Die Songs sind ein filigranes Gewebe von erstaunlicher Intensität und Dichte. Dazu trägt neben dem Percussionisten und dem Oud-Spieler vor allem der technisch überragende Pianist Shai Maesrto bei. Er pendelt zwischen sparsamen Single-Note-Einwürfen wie in der Intro der Ballade „wintersong“ und sperrigen, rasenden Läufen im späteren Verlauf des Stückes. Es gibt lyrische Linien wie bei Keith Jarrett, aber auch retardierende Cluster wie bei Thelonious Monk – ohne dass diese Pianisten zitiert würden. Wenn Maestro sich in temporeichen Läufen auslebt, dann zieht sich Cohen auf eine straight gezupfte Grundierung zurück. Das Publikum erzwingt nach diesem mitreißenden Konzert zwei Zugaben – zuletzt die Latin-Komposition „noches, noches“.