Moscow Art Trio, Photo: Hans Kumpf
Geburtstage allenthalben – Werner Schretzmeiers Institution „Theaterhaus“ feiert ausgiebig den 25., und die „Internationalen Theaterhaus Jazztage“ begingen über Ostern eine ganze Reihe weiterer Jubiläen. Eigentlich wollte sich im Eröffnungskonzert der Vibrafonist Karl Berger zum 75. sein eigenes Ständchen kredenzen, doch dieser musste kurzfristig absagen, da seine Frau und Sängerin Ingrid Sertso in New York einen schweren Sturz erlitten hatte und dort von ihm gepflegt werden musste. Als Ersatz wurde flugs das Trio des indischstämmigen Pianisten Vijay Iyer, der Anfang Mai einen deutschen „Echo“-Preis erhalten wird, aus New York eingeflogen. Zwar keine Ragas und Talas, aber auf dem Flügel mehr Akkordisches und Modal-Minimalistisches anstatt Melodisches auf konventionellen Harmoniewechseln basierend. Der studierte Physiker ließ sich viel Zeit für musikalische Entwicklungen. Bassist Stephan Grump und Schlagzeuger Marcus Gilmore unterstützten ihn in seiner subtilen Konzeption.
Moscow Art Trio
Seit exakt 20 Jahren besteht nun das „Moscow Art Trio“, das anschließend in der ausverkauften Halle „T2“ auftrat. Im Programmheft vom „1. Internationalen Jazz Festival Moskau“ wurde einst lediglich der Pianist Mikhail Alperin und der Hornist Arkady Shilkloper angekündigt und stolz darauf verwiesen, dass die beiden die ersten sowjetischen Musiker seien, von denen das Münchener Label ECM eine Platte veröffentlicht habe. Doch auf die Bühne des gegenüber des Kremls gelegenen Estradentheaters brachte das bewährte Duo dann am 1. Juni 1990 einen dritten Mann mit, nämlich den Folkloresänger Sergey Starostin. Im Haus an der Moskwa, in dem tags zuvor in einem Doppelkonzert der legendäre Sun Ra seine mystische Show abziehen durfte, begann die beeindruckende Karriere eines Ensembles mit ganz eigenem Profil. Das „Moscow Art Trio“ gereichte anschließend zur Sensation von so manchem Festival.
Besonders streng nach Plan geht der ehemalige Bolschoi-Ballett-Orchester-Bläser Shilkloper, mittlerweile oft in Wuppertal wohnhaft, auf Flügel-, Alp- und Waldhorn vor – und pocht nie auf das Primat der Spontaneität und der Improvisation. Der in der Ukraine geborene, in Moldawien aufgewachsene und jetzt in Oslo lebende Alperin erinnert sich an die Volksmusik seiner diversen Heimatländer sowie an rumänische und jüdische Weisen.
Misha Alperin
Misha Alperins aktionistische Auftritte mit Melodica und Akkordeon kommen nie zu kurz. Barocke Kontrapunktik, archaische Folklore, Jazztradition, Zeitgenössische Tonkunst – all dies findet bei ihm zu einem stimmigen Ganzen. Freilich ist er nun – wie das ganze Trio – weniger auf Klamauk aus, sondern entfacht Lyrisches und Meditatives. Starostin, wie seine beiden Kollegen vom Geburtsjahrgang 1956, aber nach wie vor ständig in Moskau lebend, singt gerne obertonreich im Falsett und mit Glottisschlag russisch inbrünstig von Liebesleid und zeigt sich auf Flöten, Tröten und Klarinetten zunehmend als versierter Instrumentalist.
Zu alten Sowjetzeiten waren die Jazzmusiker, die ja ohne staatliche Lizenz nicht offiziell auftreten durften, gezwungen, in ihr Repertoire Volksmusikalisches aus dem Riesenreich aufzunehmen. Nunmehr geschieht die Ethno-Fusion eben freiwillig und sorgt zudem für kulturelle Identität.
Parallel zum Hauptkonzert präsentierten sich am Gründonnerstag im kleineren Saal „T3“ zwei Formationen der Stuttgarter Region. Die Vokalisten Anne Czichowsky, Jennifer Rüth und Wolf-Dieter Rahn eiferten da dem legendären Gesangstrio „Lambert, Hendricks & Ross“ nach – freilich nicht so stimmgewaltig wie das amerikanische Original, jedoch mit vielen flotten Scat-Einlagen. Ob der unterhaltsame Kehlkopfeinsatz der Kornwestheimer Klaviervirtuosin Olivia Trummer im Jazz-Genre sehr angebracht ist, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls überzeugte Perkussionist Bodek Janke einmal mehr als überragender Solist. Unverwechselbar auch als Trio-Dauergast der Trompeter Matthias Schriefl.
Der 75. Geburtstag von Wolfgang Dauner (* 30. Dezember 1935) wird bei dem sommerlichen Festival JazzOpen groß herausgestellt werden. In viel kleinerem Rahmen trat der Stuttgarter Lokalmatador vorerst im Theaterhaus an. Der Pianist hatte in einem neuen Trio seinen Sohn Florian als Schlagzeuger und als Bassisten Professor Mini Schulz dabei.
Am 3. April beging in Ludwigshafen kalendermäßig exakt Dr. Helmut Josef Michael Kohl seinen 80. Geburtstag. Doch nicht dem bigbandbegeisterten Altkanzler spielten an genau diesem Datum die Flügelhornisten Ack van Rooyen (80) und Herbert Joos (70) auf, sondern sich selbst. Ack van Rooyen (geboren am 1. Januar 1930 in Den Haag) ist bestimmt nicht auf den Kopf gefallen und bläst mit seinen 80 Lenzen ungemein vital – einen Seniorenbonus hat der nunmehr auch auf Funk und Rock fliegende Holländer bestimmt nicht nötig. Ihm zur Seite standen das Quintett des Tenorsaxofonisten Paul Heller und so illustre Gäste wie der Pianist Jasper van’t Hof und der Perkussionist Nippi Noya.
Bernd Konrad und Herbert Joos
Herbert Joos erblickte am 21. März 1940 in Karlsruhe das Licht der badischen Welt. Akribisch präzise wie seine Grafiken und Malereien, die im Theaterhaus ausgestellt wurden, gestaltet der Avantgardist auch seine – zuweilen am Bebop orientierte – Musik. In seiner speziellen „Birthday Band“ agierten u.a. der Pianist Patrick Bebelaar, Tubist Michel Godard und Multisaxofonist Bernd Konrad. Im von Professor Konrad geleiteten Jugendjazzorchester Baden-Württemberg wirkten über die Jahre etliche Talente mit, die jetzt ebenfalls beim Osterjazz konzertierten. Beispielsweise die Vokalistin Verena Nübel, die Saxofonistin Katharina Brien und die Pianistin Olivia Trummer.
Bernd Konrad
Eine furiose Schau zog im Theaterhaus mal wieder kabarettistisch Erika Stucky mit ihrem helvetisch-amerikanischen Konglomerat ab – vereint mit dem schweizerischen Drummer Lucas Niggli und dem afroamerikanischen Tubaspielers Jon Sass.
Auf den ersten Blick wähnte man mit den diesjährigen Jazztagen des Theaterhauses ein mit vielen regionalen Künstlern bestücktes Sparprogramm. Doch vom Besucherandrang und vom musikalischen Niveau her darf dieses Festival als erfolgreich bezeichnet werden. Weitere Acts am Ostersonntag waren der Gitarrist Nguyen Le mit einer vietnamesisch-indisch-japanischen Melange, das Trio des Klarinettisten Michael Riessler und der arabische Trip des Leipziger Pianisten Joachim Kühn.
Schlussendlichst und total ausverkauft Chansonette Juliette Greco, die in der Jazzszene nur als temporär Geliebte von Miles Davis eine marginale Bedeutung genießt.