5. JazzArtFestival in Schwäbisch Hall


Fotografien & Text: Hans Kumpf 

Auch beim 5. JazzArtFestival in Schwäbisch Hall stellte sich allgemeine Zufriedenheit ein: Die Musiker fühlten sich von den Organisatoren geradezu liebevoll betreut, die Zuhörer lauschten aufmerksam und qualitative Ausreißer der negativen Art gab es nicht zu verzeichnen. Unter dem Dach des städtischen Kulturbüros haben die diversen Einzelveranstalter wieder gute Arbeit geleistet.

Die Multikultikunst von Cécile Verny liegt in ihrer Natur: Als Tochter einer Französin und eines Togolesen wuchs sie in der Elfenbeinküste auf, wohnte dann in Frankreich und lebt seit zwei Jahrzehnten im badischen Freiburg. Ein sprachliches Multitalent, und ihre zumeist selbst gemachten Songtexte sind in Englisch und Französisch. Aber neben den semantischen Inhalten, die kitschfrei von Liebe bis zu Sozialkritik handeln, genießt bei Cécile Verny wortfreies Singen wichtige Bedeutung. Sie streut immer wieder, wie einst von Ella Fitzgerald so perfekt praktiziert, improvisatorisch Scat-Vokalisen ein. Und dies vermag nicht jede Dame, die wagt, sich „Jazz-Sängerin“ zu nennen.
Die Alt-Stimme von Cécile Verny klingt angenehm und verfügt noch über ein typisch westafrikanisches Timbre, wobei man sich an die erzählenden „Griots“ erinnert fühlen kann. Besinnlichkeit, ganz schnulzenfrei, kontrastiert sich mit überschäumender Vitalität. Und die Musik taugt mal wieder als ein Lebenselixier. 

Der Saxophonist und Klarinettist Jochen Feucht beteiligte sich nun zum dritten Mal bei dem Festival. Er stellte gemeinsam mit dem Gitarristen Boris Kischkatsein das (zuvor auf der nahen Comburg als CD verewigtes) „Bossalibre“-Projekt mit Kompositionen von Antonio Carlos Jobim vor. Brasilianische Authentizität erreicht das Unternehmen durch die sowohl intro- als auch extrovertierte Sängerin Viviane de Farias und den subtil agierenden Schlagzeuger Mauro Martins. Ebenfalls ein Dreier-Jubiläum durfte Kontrabassist Dietmar Fuhr begehen, der nun mit seinem jüngeren Bruder Wolfgang (Tenorsaxophon) und dem Pianisten Florian Ross ein schlagzeugloses Trio in kammermusikalischer Noblesse betreibt. 

Das Quartett „max.bab“ mit dem Saxophonisten Max von Mosch, dem Bassisten Benjamin Schäfer, dem Drummer Andreas Haberl und dem Pianisten Benedikt Jahnel (aus den Vornamensinitialen erklärt sich der Bandname!) durfte mit ihrem Jazz von cool bis intensiv einen überraschenden Publikumserfolg verbuchen. Skurrilitäten in Perfektion offenbarten der Perkussionist Erwin Ditzner und Bernd „Lömsch“ Lehmann, und das Mannheimer Duo vermochte es, auch unbedarfte Rezipienten mit einem musikalisch ausgereiften Ulk zu überzeugen.

Vijay Iyer aus New York präsentierte nach Allensbach in Hall zum zweiten Mal in Deutschland sein neues „indisches“ Trio „Tirtha“. Wie gewohnt, behandelte Iyer den Flügel in seiner typisch perkussiven Art, Nitin Mitta entwickelte auf seinen Tabla-Trommeln klanglich und metrisch-rhythmisch Heimatgefühle, während Presanna seine E-Gitarre sowohl metallisch-rockig als auch wie ein Sitar- und ein Sarod-Instrument erklingen lassen konnte.
Eine leichter zu verdauende musikalische Kost servierte da schon das in Deutschland ansässige internationale Trio des schwedischen Pianisten Martin Tingvall. Ein seit langer Zeit ausverkauftes Konzert. 

Zu einem historischen Highlight gereichte der Auftritt des E-Gitarristen Coco Schumann (Jahrgang 1924), der mehrere Nazi-Konzentrationslager mit „Zufall und Glück“, wie er selbst sagt, überlebte und immer noch seiner geliebten Swingmusik huldigt. Mögen die Finger auch nicht mehr so flink wie früher flitzen, geistig und witzig ist der Berliner noch voll da. Bevor Schumann am Abend die eigentlichen Konzert-Events des JazzArtFestivals eröffnete, erzählte der 86-jährige Überlebenskünstler in einer extra anberaumten Lesung erstaunten Jugendlichen von seiner dramatischen Vita.

Kammermusikalische Noblesse mit viel europäischer Klaviertradition bei der Sonntagsmatinee vom JazzArtFestival: Der französische Pianist François Couturier brachte multistilistisch eine ganz eigene Note ins Spiel.

Jedenfalls ein Künstler des Münchener ECM-Labels sollte es sein, bestimmte der führende Festivalmacher Dietmar Winter. Und es kam zum Solo-Recital schließlich aus Frankreich François Couturier, geboren 1950 bei Orléans. In der barocken Hospitalkirche spielte der Tastenmann völlig „unplugged“ in akustischer Reinheit und demonstrierte die Nachhal(l)tigkeit des Obertonspektrums. Der ausgedehnte Gebrauch des rechten Pedals ließ die Klänge des Steinway-Flügels lange irisierend im Raum schweben. Bebrillter Blick ins Notenmaterial und eine instrumentaltechnische Brillanz: François Couturier gibt sich als ein Perfektionist, der an ungezügelter Spontaneität weniger Interesse zeigt. Das klassische Know-how hat er drauf – da meinte man nacheinander Bach, Chopin, Bartok und Mussorgsky heraushören zu können. Und auch Keith Jarrett, dem ja Dank des Plattenproduzenten Manfred Eicher und dessen ECM-Firma eine Weltkarriere beschert wurde. Ein lautstarkes Rascheln mit dem Notenpapier ließ unbeabsichtigt Assoziationen zur experimentellen Geräuschmusik des Avantgardisten John Cage und speziell zum Kompositionszyklus „Paper Music“ von Josef Anton Riedl aufkommen, dann willentlich präzise strukturiert dissonante Cluster und klare Bezüge zu in sich repetierender Minimalmusik. Schön kreiselnd erst recht eine Nummer mit einem triolischen Riff und abruptem Schluss.

Doch immer wieder blitzten bei François Couturier im Diskant linear „blue notes“ auf – und der Jazzbezug ist hergestellt und das Herz eines Jazzers befriedigt. Kein zwölftaktiger Blues, aber mitunter Balladen, die viel zu erzählen haben.

Ausgiebig beschäftigte sich François Couturier mit dem Werk des russischen Filmregisseurs Andrej Arsenjewitsch Tarkowsky (1932-1986). Mit einer Hommage an den berühmten Streifen „Nostalghia“ fing es an, es folgte eine Plattenproduktion mit einem Quartett und nun gibt es ganz neu von ECM wieder eine Silberscheibe in Solobesetzung. So interpretierte François Couturier vor dem aufmerksam lauschenden Publikum in der Hospitalkirche Titel seiner neuen „Un Jour Si Blanc“ – von „L’aube“ über „Der Blaue Reiter“ bis „Moonlight“. Couturier ließ die Musik für sich sprechen – ganz ohne Ansagen und Erklärungen. 

Das Rahmenprogramm beinhaltete eine Lesung von Gina Mayer in der Stadtbibliothek, eine Kinovorstellung von „Sounds And Silence“ über ECM, ein mittägliches Big-Band-Konzert des örtlichen Erasmus-Widmann-Gymnasiums sowie die noch bis Ende Juni im Goethe-Institut andauernde Fotoausstellung „JazzArtFestival im Fokus“. 

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