STUTTGART. Jazz wie er singt und swingt: vor zwei Jahren wurden die „kühle Blonde und die heiße Schwarze“ im Doppelback auf Tournee geschickt, jetzt präsentierten sich kurz hintereinander Diana Krall und Dianne Reeves innerhalb der Reihe „JazzNights“ mit eigenen Veranstaltungen. Beide Sängerinnen dürfen sich als Grammy-Gewinnerinnen preisen, doch weniger umstritten als die bestens vermarktete Kanadierin ist die agile Afro-Amerikanerin. Die Mittvierzigerin Dianne Reeves blickt gleichfalls gerne zurück in die Jazz-Historie, und da huldigt sie besonders der 1990 verstorbenen Vokalistin Sarah Vaughan, welche ungestüm im tiefen Alt und mit überzogenem Vibrato gerne Standards und wortsinnlose „Schubiduh“-Floskeln intonierte.
Bei ihrer CD „Calling“ interpretierte Dianne Reeves ein Dutzend Songs aus dem Repertoire von Sarah Vaughan. Dazu erklärte sie in einem Interview: „Ich versuche keine Kopie von Sarah Vaughan zu sein. Ich versuche nicht, ihre Phrasen nachzuahmen – das wäre Irrsinn, schon weil sie selbst nie einen Song zweimal auf die selbe Weise singen wollte. Was ich mache, ist eine Hommage aus meiner Perspektive.“ Und dies demonstrierte Dianne Reeves nun auf dem Konzertpodium des Stuttgarter Beethovensaals, ihr zur Seite das handwerklich sauber aufspielende Quartett des Pianisten Peter Martins mit dem Bassisten Reuben Rogers und den Schlagwerkern Gregory Hutchinson und Munyungo Jackson.
Eine unbändige Lust an Spontaneitäten mit dem Scat-Improvisieren besitzt Dianne Reeves nach wie vor: ein wahres Energiebündel mit sonorem Timbre und präsenter Ausstrahlung. Als Paradenummer für Sarah Vaughan diente einst George Gershwins „Fascinating Rhythm“, und die Reeves brachte diesen Evergreen in lateinamerikanischer Lebensfreude. Ruhiger im Tempo aber nicht weniger intensiv im Gefühlausdruck gestaltete sie Erroll Garners „Misty“ und Duke Ellingtons „Mood Indigo“. Ganz aufgeweckt agierte Dianne Reeves dagegen bei George Shearings „Lullaby of Birdland“.
Den Abend eröffnet hatte der gemeinhin als „US-Franzose“ bezeichnete Pianist Jacky Terrasson. Zusammen mit dem Bassisten Sean Smith und dem Schlagzeuger Eric Harland griff auch er auf bekanntes Ausgangsmaterial zurück und gewann den vertrauten Weisen völlig neue Aspekte ab. Der 35-jährige Virtuose begann beispielsweise „My Funny Valentine“ phrygisch-minimalistisch, um nach vielen Tastentricks erst am Schluss das Thema zu offenbaren. Aus einer aus acht Tönen bestehenden Folge, die sich akkordlich immer weiter verdichteten, entwickelte er lyrisch-besinnlich „Georgia“ – ein reizvolle Alternative zum inbrünstigen Ray Charles. „Autumn Leaves“ alias „Les Feuilles Mortes“ kam gar nicht herbstlich-morbid daher, sondern in voller Vitalität. Ansonsten viele Zitate inklusive dem Säbeltanz von Aram Chatschaturian und Calypso-Freudensprüngen. Aus Alt mach’ Neu: eine Devise von Jacky Terrasson und Dianne Reeves gleichermaßen.
(März 2002)