20. Internationale Theaterhaus-Jazztage Stuttgart

Wolfgang Dauner & Eberhard Weber

Stuttgart.- Im Stuttgarter Theaterhaus feiert man geradezu familienmäßig gerne Geburtstag und Jubiläen. Seit 20 Jahren organisiert dort der unermüdliche Werner Schretzmeier österliche Jazztage, die in ihrer Geschichte gewisse Durststrecken hatten, aber auch viele Höhepunkte lieferten. Bereits als Macher der Schorndorfer „Manufaktur“ und als TV-Regisseur beim einstigen Süddeutschen Rundfunk setzte sich Schretzmeier in den 60er und 70er Jahren für den Stuttgarter Pianisten Wolfgang Dauner und dessen Trio mit dem Bassisten Eberhard Weber ein. Auch dieser ist nun im gesetzlichen Rentenalter angelangt: am 22. Januar wurde der 1940 geborene Sohn eines Musiklehrers eben 65 Jahre alt. Grund genug, ihm ein großartiges Geburtstagsständchen zu inszenieren.

Es erschienen zur Feier im Doppelpack nicht nur liebgewordene Jazzer-Kollegen sondern das repräsentative Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR unter dem kompetenten Dirigat von Roland Kluttig. Kurze Kompositionen von Igor Strawinsky, Maurice Ravel und John Evans wurden in Reinkultur interpretiert, aber schon Wolfgang Dauners Bearbeitung eines Klassik-Menuetts unter dem Titel „Haydn 14 Heute“ riss die Schranken zwischen E(rnstem) und U/nterhaltung) nieder. Die beiden Solisten fügten sich am Flügel und am konventionelle Kontrabass in das historische Klangbild ein, um dann doch der swingend-improvisatorischen Leidenschaft zu frönen. Vergessen sind die wilden Free-Jazz-Zeiten von einst.

Das Markenzeichen von Eberhard Weber ist freilich der korpuslose Elektro-Bass, den sich der in Esslingen aufgewachsen Saitenkünstler extra anfertigen ließ. Keine bundlose Bassgitarre also, vielmehr ein Instrument, das in der sitzenden Cello-Haltung bedient wird. Da kann Weber – erst recht mit der zugefügten hohen C-Saite – den Melodien hingeben und durch Digital-Delays sich selbst soundtechnisch multiplizieren.. Dies demonstrierte er eingangs mit seinem auf dem Zentralton D basierenden Stück „Delirium“. Solo oder in der Combo: Weber stellte seine jazzenden Spiel-Kameraden zunächst „pur“ vor und dann in der Kombination mit dem Sinfonieorchester. Auch die SWR-Angestellten hatten offensichtlich ihren Spaß bei der „Easy Listening Music“, die bestens ins kommerzielle „Klassik Radio“ passt.

In großorchestralem Kontext hörte man Webers berühmteste Kompositionen „The Colours Of Chloé“ und „Silent Feet“ sowie noch “Maurizius“, „Yellow Fields“ und „The Last Step Of A Long Journey“. Als Solisten-Stars glänzten der sanfte Norweger Jan Garbarek auf Tenor- und gebogenem Sopransaxofon, die rasante dänische Perkussionistin Marilyn Mazur, der behände amerikanische Vibrafonist Gary Burton sowie der gefühlvolle Pianist Rainer Brüninghaus aus Köln. Humorvoll und intelligent führt Eberhard Weber höchstselbst durch das gelungene Programm.

Parallel hierzu präsentierten die Jazztage in der kleinen Halle T3 kammermusikalische Duos. Da kooperierte der versierte Pianist Patrick Bebelaar mit dem Trompeter Herbert Joos, und Klavierspieler Joachim Kühn tat sich mal wieder mit seinem älteren Bruder Rolf zusammen. Allerdings blieb der in Leipzig aufgewachsene und in Hamburg lebende Klarinettist steif im Ton und improvisatorisch etwas unflexibel.

Mit „Suono del Mondo“ war der dritte Abend der insgesamt sechs Theaterhaus-Jazztage dieses Jahres überschrieben – und Werner Schretzmeier sieht in der Weltmusik einen politischen Anspruch für Frieden und Verständnis. Ein Grund mehr, Künstler einzuladen, die dem Stuttgarter Theaterhauses seit zwanzig Jahren verbunden sind. Genau zum elften Mal gastierte jetzt der Libanese Rabih Abou-Khalil in dieser Institution. Nach alter Weise präsentierte der versierte Oud-Spieler arabische Musik mit viel Humor und kultureller Toleranz. Wieder mit dabei der französische Tuba-Virtuose Michel Godard und der italienische Akkordeon-Spieler Luciano Blondini.

Maria Joao geriet bereits 1987 beim programmatischen Festival „reichlich weiblich“ zur Sensation, als sie kurzfristig zusammen mit der japanischen Pianistin Aki Takase im Duo auftrat. Erneut begeisterte die portugiesische Vokalistin bei dem Schretzmeier-Event durch ihre Vitalität und ihre lustvolle Theatralik. Sie kokettierte in den burschikosen Erzählballaden mit ihrem gewaltigen Tonumfang – von mädchenhafter Stimme bis in bassige Tiefen. Mehr iberische Folklore als amerikanisches Jazz-Idiom – eine individuelle Musik, bei welcher der Pianist Mario Laginha als kongenialer Partner besteht.

Verschmitzt reimten der Klarinettist Gianluigi Trovesi und der Akkordeon-Meister Gianno Coscia nach ausgeklügeltem Konzept spanische Flamenco, italienischen Ländler, französischen Valse-Musette und osteuropäische Klezmer-Weisen zusammen. Immer wieder kamen die beiden Italiener dann auf schroff synkopierte Kompositionen von Kurt Weill zurück, wobei der „Alabama Song“ nicht fehlen durfte. 

Nachdem Fettiges im aktuellen Jugendslang ja positiv besetzt ist, war unter dem Veranstaltungsnamen „Fette Töne“ nur Gutes zu erwarten. „Butter“ wurde einst der wohlbeleibte und weich die Posaune blasende Bobby Burgess genannt, der einst bei Count Basie, Stan Kenton und Erwin Lehn in Stuttgart spielte. 1997 verstarb der Vollblutjazzer, und die von ihm im Schwabenländle gegründete „Bobby Burgess Big Band Explosion“ wird jetzt von dem ambitionierten Altsaxofonisten Klaus Graf weiter geführt. Feurig und bombastisch agiert dieses Jazzorchester fürwahr. Ein bisschen Experimente, aber vornehmlich Vertrautes. So ließ sich Dieter Reith mit seiner wabernden Hammond-Orgel bestens featuren und integrieren.

Reanimiert zum Theaterhaus-Jubiläum wurde das United Jazz + Rock Ensemble, eine Formation, die mit Schretzmeiers Kulturaktivitäten unzertrennlich ist. Posaunen-Weltmeister Albert Mangelsdorff musste aus Krankheitsgründen absagen (und wurde von seinem Schüler Stefan Lottermann ersetzt), doch die unter Parkinson leidende Saxofonistin Barbara Thompson machte einen fitten Eindruck. Und auch Charlie Mariano war mit seinen nunmehr 81 Jahren in alter Frische mit dabei. Angetan waren die Fans im restlos ausverkauften großen Saal des Theaterhauses zweifellos, dass man diese – wenn auch verschiedentlich neu besetzte – Gruppierung mit den lieb gewordenen Ohrwürmern nochmals erleben durfte.

Gleichfalls im vertrauten Rahmen blieb die debütierende Band „Hot Lips“ von Jasper van’t Hof. Als Wirbelwind an den Tasteninstrumenten entpuppt sich der rhythmisch agile Holländer nach wie vor, und in der dreiköpfigen Bläser-Section fiel vor allem die englische Posaunist Annie Whitehead auf.

Panmusikalische Reisen wurden bei dem Schwerpunkt “Global Sounds“ offeriert. Altsaxofonistin Charlie Mariano, der einst mit Charlie Parker spielte und mit der japanischen Komponistin Toshiko Akiyoshi verheiratet war, agierte jetzt nicht bebop-jazz-rockig, sondern asiatisch kontemplativ. Sein bewährtes „Karnataka College of Percussion“ (mit den indischen Künstlern R.A. Ramamani, T.A.S. Mani und Ramesh Shotham) verblüfft mit akrobatisch-artistischen Rhythmen und Metren. Der Kölner Pianist Mike Herting schuf zu den waghalsigen Talas brillant eine harmonisch-melodiöse Basis.

Das Quartett „Oregon“ des Gitarristen und Pianisten Ralph Towner gehört seit dreieinhalb Jahrzehnten zu den sprichwörtlichen „Global Players“. Der 1984 in Magdeburg bei einem Autounfall getötete Tabla-Spezialist Collin Walcott wurde durch Mark Walker am normalen Drumset ersetzt, aber der Oboist und Saxofonist Paul McCandless und der Bassist Glen Moore sind von der Originalbestzung geblieben. Die vier Amerikaner pflegen kammermusikalische Noblesse mit folkloristischen Bezügen und ließen sogar mit elektronischer und freitonaler Avantgarde Aufhorchen, alles eingebunden in ausgewogener Kommunikation und Interaktion.

Eine Premiere bei dem traditionellen Osterjazz im Theaterhaus feierte der in Barcelona lebende kubanische Pianist Omar Sosa. Nicht klassisch-konzertant wie sein Landsmann Gonzalo Rubalcaba agiert Sosa an den 88 Tasten, vielmehr gibt dieser sich als exzentrischer Show-Man und rast und hopst zwischen Salsa, Free und HipHop hin und her. Langweilig wurde es mit seinem Quintett keineswegs – weder für die Ohren, noch für die Augen.

Parallel zu den Hauptkonzerten liefen in der kleineren Halle T3 „Festival Specials“ mit noch nicht so arrivierten Bands. Ulita Knaus und Lisa Bassange boten ausgefeilten Jazz-Gesang, mitunter mit Pop-Hits als thematischer Grundlage. Progressiver taten sich da gewiss die Formation „Triosphere“ der beiden Saxofonisten Stefan Schorn und Roger Hanschel und des E-Gitarristen Dirk Mündelein sowie die „Tied & Tickled Trio Big Band“ des gerne mit Elektronik werkelnden Saxofonisten Johannes Enders. Beim Trio des Bassisten Christoph Dangelmaier überzeugte die selbstbewusste koreanische Pianistin Gee Hye Lee.

Mit 19 Jahren war die von Kornwestheim kommende Olivia Trummer die jüngste Künstlerin des Festivals – Publikum und Fachleute kamen ins Schwärmen. Nach einem Turbo-Abitur studiert die mehrfache „Jugend musiziert“-Siegerin bereits im 4. Semester an der Stuttgarter Musikhochschule, und ihr dortiger Jazzklavier-Dozent Paul Schwarz bezeichnet sie schlichtweg als „Jahrtausendtalent“. Ein Universalgenie mit Zukunft zweifellos.

Ganz zum Schluss des Festivals kam der große Höhepunkt: Dee Dee Bridgwater, eine Afroamerikanerin in Paris, brachte das Theaterhaus erwartungsgemäß zum Kochen. Ein wahres Energiebündel, kraftstrotzend, kreativ, charmant und intelligent. Eine Jazz-Sängerin, die diese Bezeichnung verdient – bei der vehemente Scat-Improvisationen ein unabdingbares Muss darstellen. Insgesamt stimmten das Programm und der Publikumszulauf beim diesjährigen Stuttgarter Osterjazz. Werner Schretzmeier freute sich, die 21. Internationalen Theaterhaus-Jazztage für den 13. bis 17. April 2006 ankündigen zu können.

„J’ai Deux Amours“ nennt sich in Anlehnung eines Josephine-Baker-Schlagers die jüngste CD-Produktion der 1950 in Memphis als Denise Elleen Cornett geborenen Vokalistin, die vor etlicher Zeit mit dem Trompeter Cecil Bridgewater ehelich verbunden war. Die Liebe zum Jazz ihrer alten Heimat und die Liebe zum französischen Chanson praktiziert und vereint sie auf fabelhafte Weise. Mal raukehlig negroid, mal dramatisch schmetternd wie die legendäre Edith Piaf – ihre Bühnenpräsenz hat enorme Durchschlagskraft, und ganz bewusst setzt die gewiefte Entertainerin als Alternative auch leise und besinnliche Töne ein. Ihre instrumentalen Begleiter, darunter wieder eine Akkordeonist, kreierten mit den Arrangements und ad-hoc eine imposante Musik. Ein prächtiger Blumenstrauß diente letztendlich als kleines Dankeszeichen für die Leistung von Dee Dee Bridgewater. Und in den Ohren klingen nach ihre aufgefrischten Versionen von dem bolerohaften „Et Maintenant“, „La Belle Vie“, „La Vie En Rose“, „La Mer“ oder „Les Feuilles Mortes“ alias „Autumn Leaves“.

Ebenfalls aus den USA stammt Madeleine Peyroux. Doch sie extemporierte keinen einzigen Gesangston und imitierte weitgehend Billie Holiday, wenn sie nicht – unterstützt von ihrer Klampfe – sich nicht in Country-Gefilden bewegte. Langsame Liebesliedchen lamentierte laufend. Da fehlten die Tempowechsel, Kontraste und die Originalität. Trotz alledem fand die nun in Frankreich wohnende Ex-Straßensängerin mit ihrem natürlichen Vortrag nicht wenige Bewunderer bei den aufmerksamen Zuhörern.

Als instrumentaler Mittelpunkt bei der mit „Union French-Amercain“ betitelten Schlussveranstaltung der fast eine ganze Woche währenden Theaterhaus-Jazztage fungierte der Geiger Jean-Luc Ponty. Ohne elektronischen Firlefanz streicht der 62jährige die Saiten und demonstrierte ungewohnte Kunststücke in gitarristischer Pizzicato-Technik. Ponty orientiert sich zunächst am modalen Rock-Jazz, lässt auch lyrische Momente einfließen und zeigt sich von westafrikanischer Musik angetan. So begeisterten besonders der Bassgitarrist Guy Nesanqué Akwa (Kamerun) und der Perkussionist Mustapha Cissé mit ihren authentischen Rhythmen und Kangzaubereien. Interaktiv und kommunikativ handelte das Quintett allemal, das durch den Keyboarder William Lecomte und den Drummer Thierry Arpino adäquat vervollständigt wurde.

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