Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
„Wir spielen Changes nicht mehr wie früher, aber wir sind uns ihrer bewusst“, sagte Herbie Hancock, einer der Wegbereiter des modernen Pianospiels, den phänomenale Technik ebenso auszeichnete, wie die Haftung auf dem Boden der schwarzen Tradition. Nico Hering, den Pianisten im Quartett „VierHabenRecht“, hat Hancock wohl ebenso beeinflusst wie Thelonious Monk, dessen verqueres Tastenspiel immer wieder durchbricht. Herings nahezu virtuose Pianoläufe, seine hingetupften Single-Notes oder geschichtete Blockakkorde bestimmen den Sound des Quartetts nicht weniger als die sensiblen Linien oder expressiven Läufe der Saxophonistin Kerstin Haberecht. Bei ihrem Konzert auf Einladung der Jazzinitiative Mainz im gut gefüllten großen Saal des Mainzer Hauses der Jugend zeigen die vier Studenten des Musikhochschule Mainz, dass sie professionellem Anspruch voll gerecht werden.
„Lost and won“ ist nach den Worten der Saxophonistin Haberecht eine neue Komposition und ein „Wagnis“. Vielleicht zählte sie gerade deshalb zu den mitreißendsten und innovativsten Stücken. Die Frontfrau führt mit cantablen Läufen von elegischem bis expressivem Ausdruck ein, lässt das Saxophon mit ostinat wirkenden Variationen des Themas in aufsteigenden Linien erklingen, bis der Pianist die Harmonien aufnimmt und in ein sperriges Solo überleitet. Das Quartett steigert Tempo und Intensität bis nach einem abrupten Stop das Saxophon zuerst allein, dann mit der Band auf das Thema zurückkommt.
Mehrere Kompositionen wie „Schöne Stille, stille Schöne“ offenbaren Kerstin Haberechts Vorliebe für spannungssteigernde Ostinati und Harmonievariationen. Hier bekommt Hering die Möglichkeit zu perlendem Pianospiel, während Bassist Bastian Weinig in der Hering-Komposition „Borrow the trees“ seine Kreativität in einem harmonisch reizvollen Solo beweisen darf. Allgegenwärtig ist die rhythmische Basis des Schlagzeugers Mathis Grossmann, der der Bandleaderin die Kompositionen „Kerstin“ gewidmet hat. Das Stück reißt mit seinem percussiven Groove und den Dynamiksprüngen mit. Lyrisch und sanft bläst Haberecht das Altsaxophon in „Unforgettable Colours“ und in einem Arrangement der Ellington-Ballade „Low Key Lightly“, die zum Soundtrack des Films „Anatomie eines Mordes“ wurde.
Nervös hämmern die Sticks auf Fellen und Schlagzeugrand wie von einem Maschinengewehr. Mit expressiven Saxophonläufen und wuchtigem Pianospiel interpretieren die vier Musiker die Haberecht-Komposition „The Machine“, mit der Haberecht nach eigenen Worten innere Spannungen abarbeitete. Abschließend steht das Quartett mit „Metamollphose“ voll in der swingenden Tradition, versucht die Komponistin das breite Spektrum von Gefühlen und Ausdrucksmöglichkeiten auszuloten. Vorherrschend sind jedoch getragene Lyrik mit Vibrato und Atemgeräuschen im Instrument. Die Zugabe „Impressions“ ist dagegen ein Up-Tempo-Rausschmeißer, für den das Quartett vom Publikum ebenso begeistert gefeiert wird, wie bei den vorhergehenden Stücken. Die Kompositionen zeugen von Reife, die Technik lässt keine hörbaren Mängel erkennen. Das Quartett besteht in dieser Zusammensetzung zwar kaum ein Jahr, doch die Interaktionen der vier Musiker bestechen durch Sensibilität, gegenseitigem Verständnis und Sicherheit.