Victoria Tolstoy Quartett im Frankfurter Hof in Mainz, 19. Februar 2005

Victoria Tolstoy Quartett im Frankfurter Hof in Mainz, 19. Februar 2005

19.02.2005 15:57 von csjazz (Kommentare: 0)

Jazzsängerinnen, die melodisch, gefällig und schön singen, werden seit einigen Jahren hoch gehandelt. Zumal, wenn sie aus Skandinavien kommen, einem der produktivsten Länder Europas, wenn es um eher lyrischen, leicht poporientierten Jazz geht. Dafür stehen auf der stimmlichen Seite neben Tolstoy auch Rebekka Bakken, auf der instrumentalen Seite das Esbjörn Svensson Trio und der Posaunist Nils Landgren. „Die Leute brauchen wunderschöne Songs, um in dem recht hart gewordenen Umfeld zu überleben“, sagt Victoria Tolstoy und zeigt sich dankbar, wenn das Publikum ihr in ausverkauften Frankfurter Hof in Mainz enthusiastisch zujubelt. 

Da steht sie nun auf der Bühne, in vielfarbiges Scheinwerferlicht getaucht, die langen blonden Haare hin und wieder aus dem Gesicht streichend. Sie haucht und seufzt ihre Songs ins Mikrofon, schreit kontrolliert auf, wechselt in geschickter Dramaturgie zwischen Aufbegehren und Demut. Da steigt sie, eine Sängerin, die nie Gesangsstunden genommen hat, mühelos in die Höhen und fasst sicher in den Tiefen Fuß, intoniert in den kraftvollen Aufschreien ebenso sicher wie in den sanften balladesken Mittellagen. Die Sängerin aus den hohen Norden hat keine weit tragende Shouterstimme wie die Blues-Sängerinnen, erinnert eher an eine Landmännin, die Benny Goodman Anfang der 40er Jahre als Peggy Lee in der Jazzwelt vorstellte, orientiert an Vorbildern wie Ella Fitzgerald. Doch was Victoria an Stimme besitzt, das setzt sie raffiniert ein. Glockenklar mit einem geschmeidigen Vibrato, zerbrechlich manchmal und kleinmädchenhaft, dann wieder aufbegehrend und kraftvoll und mit jubilierender Power. 

Viele Stücke hat ihr das Piano-As Esbjörn Svensson auf den Leib geschrieben, hat ihr Ehemann mit Lyrics angefüllt. Sie wurden so zu intimen Preziosen, in denen die Sängerin Ausdrucksstärke beweisen kann. In „Do you mind if I play” besingt sie die “colours of sound” – und das charakterisiert auch ihre Präsentation. Die Komposition ist ebenso wie „Dannys dreaming“ eines der gefühlvollen Lieder von ihrer neuen CD, die im März in den Handel kommen soll.

Doch danach geht es im Mainzer Konzert wieder mehr zur Sache „Swing“. Der in vielen Intros und Soli lyrisch-deklamatorische Pianist Jacob Karlzon wird in rasenden Läufen vom straight durchlaufenden Bass und einem drivenden Schlagzeug in klassischer Jazz-Trio-Tradition unterstützt. Noch stärker ist der Kontrast zwischen dem balladesken und pastellösen „No regrets“ mit den verspielten Singel-Note-Läufen, der zarten Besenarbeit auf dem Schlagzeug und den reizvollen Harmoniewendungen auf dem Bass sowie dem folgenden „Summer calling“, einem motorischen Stück mit hart gehämmerten Ostinato-Akkordfolgen auf dem Flügel, einem teils pulsierenden Schlagzeugspiel und bluesverwachsenen Basslinien. Dazu fügt sich Victoria Tolstoy mit schneller Stimmakrobatik und einem kurzen Ausflug in den Scat-Gesang als viertes Instrument ein. Über wie viel Phrasierungskunst und sicheres Timing die Sängerin verfügt, hatte sie schon im ersten Set des Konzertes beim Jazz-Klassiker „Caravan“ bewiesen. So kann sie sich nun wieder in „Blame it on my youth“ nach einer langen Piano-Einleitung mit elegischen Läufen und Trillern der gefühlvollen Ballade widmen. Das Publikum möchte sie nach mehr als zwei Stunden dieses raffinierten Mixes aus Bop und Pop am liebsten gar nicht mehr von der Bühne lassen.

TheJazzPages

Text und Photographie von Klaus Mümpfer

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