Underkarl im Rind, Rüsselsheim am 4. Mai 2014

Mahall / Lehmann - Foto: Mümpfer

Text & Fotografie: Klaus Mümpfer

Bassklarinette und Tenorsaxophon spielen oft zweistimmig oder selten Unisono im Duett. Sie duellieren sich, wenn Rudi Mahall auf der Bassklarinette eine Melodie anstimmt und Lömsch Lehmann auf dem Tenorsaxphon mit überspitzten High-Notes antwortet. Bassist und Komponist Sebastian Gramss streicht sein Instrument in extrem kurzen Akkordfolgen oder zupft Pizzicati, Dirk Peter Kölsch explodiert in harten Breaks auf dem Schlagzeug. Gitarrist Frank Wingold reißt harte Akkordfolgen aus den Saiten oder lässt seinen „Noisetable“ genannten Plattenspieler rotieren. Auf dem Plattenteller liegt ein Unikat, eine Vinylscheibe, auf die die wichtigsten Melodiefragmente aus dem Programm gepresst sind. Das Quintett „Underkarl“ steigert sich in ein orgiastisches Kollektiv bis hin zum Crescendo.

Gramss - Foto: Mümpfer

Beim „Jazzfabrik“-Konzert im Rüsselsheimer Kulturzentrum „das Rind“ verschmilzt die 1993 von Gramss gegründete Band in gewohnter Virtuosität Jazz, Neue Musik, Rock, Minimal Music, Zeitgenössische improvisierte Musik sowie Freejazz zum längst eigenständigen und unverkennbaren „Underkarl-Sound“. Die Musiker spannen einen weiten Bogen vom verqueren Swing in „Sdölg“ hinein in die ostinaten Stakkati, die sich in der „Kleinen Koalition“ mit ihrem motorischen Beat und den treibenden Duetten von Bassklarinette und Tenorsaxophon bis zur Hochspannung steigern. Zwischendurch greifen Lehmann und Mahall zu den Klarinetten, bläst der Saxophonist sein Tenorhorn mehrstimmig mit Obertonreihen und singt gleichzeitig.  

„Wir haben eine möglichst große Vielfalt zu einer Musik vereint, die den Hörer an ganz unterschiedlichen Punkten seiner Hörgewohnheiten abholt und in absolutes Neuland führt“, sagt Initiator Gramss. „Dabei ist eine Musik entstanden, die organisch vieles verbindet, was scheinbar unvereinbar scheint. Eine Musik, die sich auf die vielfältigen Einflüsse bezieht, die die Mitglieder dieser Band über Jahre geprägt haben.“  Entstanden sind melodische, disharmonische, rhythmische und elektronischen Miniaturen von trügerischer Tradition wie in der „Barballade“, in der Gramss lange Linien mit überraschenden Harmonie-Wendungen auf dem Kontrabass zupft, eine tiefe Grundierung streicht oder den Bogen in hohen Lagen nahe am Steg führt.

In „Mist“ explodieren die Bläser nach einem Wingold-typischen Gitarren-Intro, das später in einem Bottleneck-Glissando wieder aufgenommen wird. Gradlinig legt Gramss seinen marschierenden Bass unter die Eruptionen seiner Mitspieler. Hochenergetisches Spiel mit spannenden Temposteigerungen und abrupten Dynamiksprüngen kennzeichnet die Mixtur von Underkarl. Die Musiker machen sich einen Spaß daraus, die Musik, mit der sie aufgewachsen sind, auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen. Humor ist dabei ein weiteres Kennzeichen von Underkarl, das diese Richtung mit dem Programm „20th Century Jazz Cover“ eingeleitet hat.

Ruhig und getragen sowie ungewohnt kurz erklingt „An Toni“, ein anderes Mal leitet Gramss mit einem „Interlude“ über. Nach all diesen ekstatischen Vorläufern erklingt die Zugabe „Ich kann Dich sehen“ nahezu bebop-melodisch und traditionell.

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