Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Tord Gustavsen beugt sich über die Tasten und schließt die Augen. Ein verklärtes Lächeln huscht über sein Gesicht. Verspielt greift er ein paar tastende Akkorde und luftige Single-Note-Linien. Tore Brunborg unterstützt die Stimmung mit melodiösem Balladenton. Leicht raue und mit Untertönen gefüllte lyrische Läufe runden das Spiel des Pianisten ab, während Jarle Vespestad die Felle seines mit meist mit Tüchern abgdeckten Drumsets mit den Besen streicht und Bassist Mats Eilertsen mit dem Bogen die melancholisch wirkenden Harmonien beisteuert. Nach zwei früheren Kompositionen steigt das Tord Gustavsen Quartet beim Konzert in Mainz in die Vorstellung seiner neuen CD „Extended Circle“ ein.
„Der Glaube an ein lineares Fortschreiten ist tot. Auch als Musiker bewegen wir uns lieber in Zirkeln, um zu tieferen Einsichten zu gelangen“, sagt der Pianist. Denn die neue Einspielung ist als „erweiterter Kreis“ früherer Aufnahmen zu verstehen. „Silent spaces“ lautet der Titel einer Komposition, die den Charakter von Tord Gustavens Musik treffend beschreibt. Das hörbare Ergebnis an diesem mitreißenden Abend ist eine Musik, die aus der Stille entsteht, dann aber Dynamik und Intensität entwickelt, die sogar an die Grenzen des freien Spiel und des Crescendo geht. Doch selbst in diesen komplexen Gruppenimprovisationen – etwa bei der ekstatischen Interpretation der traditionellen norwegischen Hymne „Eg veit i himmerik ein borg“ (Ich weiß ein Schloss in Himmel) wirkt das Spiel des Quartetts keineswegs hektisch.
Norwegischer Traditionalismus verbindet sich mit romantischen Klassizismus sowie einem sanften Hauch von Jazz und Gospel in Gustavsens Kompositionen. Der Komponist windet sich bei seinen ausladenden Piano-Parts vor dem Instrument, summt bei einigen Soli leise mit – ein Hinweis darauf, dass der frühere Begleiter der Sängerin Silje Nergaard noch immer liedhaft komponiert. Kongenial greift Brunborg mit sonoren cantablen Läufen diese Stimmungen auf, während Eilertsen den Kontrabass mit reizvollen harmonischen Wendungen zupft oder gar den Bogen auf den Saiten hüpfen lässt.
„Bodensee“ erfährt an diesem Abend im nahezu ausverkauften Frankfurter Hof eine Uraufführung, teilt Gustavsen dem Publikum mit. Die getragene hymnische Einleitung wird von Eilertsen mit Bogenstrichen in den hohen Lage aufgriffen, während Vespestad mit seinen Sticks die Becken quietschen lässt. Naturgeräusche entstehen, als Gustavsen aus dem im Innern bedämpften Flügel erst ostinate Akkorde hämmert, um schließlich zu perlenden Notenketten zu wechseln. Brunborg lässt sein Tenorsaxophon ekstatisch aufschreien, bevor er in einem abrupten Dynamiksprung ins Instrument haucht und das Quartett die Komposition sanft auslaufen lässt.
Solche weit gespannten Bögen lassen die Kollektive gleichsam von innen heraus leuchten. Das Publikum im Frankfurter Hof ist fasziniert, feiert die Musiker mit nicht enden wollendem Applaus und erzwingt gleich mehrere Zugaben.