Nils Wogram & Root 70 im „Jazzcafé“ Rüsselsheim, 21. November 2010

Fotos und Text: Klaus Mümpfer

Der Blues ist die Basis. Vielleicht deshalb hat der Posaunist Nils Wogram ihn auch zur Grundlage seines neuen Programms gemacht. Es ist allerdings ein Blues, wie ihn spiritus rector von „Root 70“ und seine Musiker verstehen, der etwa im „Hot summer blues“ sich mit Hymnik und Folklore verbindet, in der Stimmung immer bluesgetränkt bleibt und angesichts der kreativen Interpretationen manchmal nur unterschwellig wirkt.  

Das Publikum im Kulturzentrum „das Rind“, wo sich Wogram mit Root 70 zum Abschluss einer Tournee anlässlich des zehnjährigen Bestehens im Rahmen der Jazzcafé-Reihe präsentiert, lässt sich von den traumhaft sicheren Interaktionen, der vier Musiker ebenso faszinieren wie von dem nur vordergründig „gefälligen“ Gruppenklang, der aus raffinierter Harmonik, vertrackter Rhythmik und solistischer Virtuosität der Akteure mit Wogram an der Posaune, dem neuseeländischen Saxofonisten und Obertonsänger Hayden Chisholm, dessen Landsmann Matt Penman am Bass und dem deutschen Schlagzeuger Jochen Rückert entwächst. 

Das Quartett verzichtet bei seinem Bluesprogramm zwar weitgehend auf die bekannte Mikrotontechnik, bei der statt der zwölf chromatischen insgesamt 24 Töne benutzt werden, doch in den anhaltend erklatschten Zugaben kommen die Musiker auch hierin Wunsch des Publikums nach. An diesem Abend scheinen viele Posaunen-Soli eher in der Bebop-Tradition zu stehen, wobei Wogram selbst in schnellen Stakkato-Läufen nuanciert und weich bläst. Melodisch und warm bleiben auch die manchmal mit Vibrato geblasenen Saxofonläufe.

Begonnen hat das Konzert mit dem Opener der neuen CD „Listen to your woman“, dem „Rusty bagpipe boogie“. Der Titel soll, wie Komponist Chisholm erläutert, einer schottischen Kamasutra-Stellung entlehnt sein. Bemerkenswerter als diese Anekdote ist indessen das einleitende mehrstimmige Posaunensolo Wograms, das in ein zweistimmiges Duo mit dem Altsaxofonisten Chisholm mündet, das wiederum von Breaks des Schlagzeugers unterteilt wird. Wie Wogram, der sein Posaunenspiel mit der Stimme erweitert, ergänzt Chisholm seine meist cantablen Linien auf dem Alto mit Obertönen. In oftmals sanften und balladesken Zwiegesprächen treffen sich die beiden Musiker unisono oder im reizvollen Ruf-Antwort-Spiel.

In „Homeland´s sky“ zitiert Chisholm nach wenigen Minuten schwebender Mehrstimmigkeit der Blasinstrumente im Sprechgesang einen Text, der auf ein Poem des Schweizer Schriftstellers Robert Walser Bezug nimmt. In „Erectile Dysfunction“ besticht nach einer kurzen Unisono-Passage von Posaune und Saxophon Bassist Matt Penman in einem ausgedehnten Bass-Solo mit zahlreichen überraschenden harmonischen Wendungen und Verzierungen des Themas. Suitenartig aufgebaut mit einem schnelleren Satz zwischen zwei getragenen Passagen ist das George Russel gewidmete „One for Russel“, tänzerische beschwingt „How play blues“. In manchen Stücken greifen Wogram oder Chisholm zur Melodica, um dem Sound der Gruppe, die ohne Piano auskommt, eine zusätzliche Klangfarbe zu spendieren. Der Titel „Hot summer blues“ mag ein wenig irreführend sein, denn bestimmt wird er durch den Obertongesang Chisholms, der sich an tibetanische und mongolische Gesänge anlehnt.

Mit seiner Verschmelzung von Jazz, Avantgarde, Blues und Exotik sowie virtuoser Techniken wird Wogram einmal mehr der Einschätzung der Jury gerecht, die ihm 1999 den renommierten Jazzpreis von SWR und Rheinland-Pfalz verlieh.

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