Zum Schluss zieht das Esbjörn Svensson Trio, kurz „E.S.T.“, nochmals alle Register: von den orgiastischen Kollektiven mit den ekstatischen Piano-Kaskaden, den Con-Arco-Bass-Läufen, die dem mächtigen Instrument Gitarren-Glissandi verpassen und den pulsierenden Schlagzeug-Gewittern bis hin zum abrupten Dynamiksprung, dem sanfte, suchende Single-Note-Linien des Pianisten, swingende Walking-Bass-Figuren und leise Besen-Arbeit auf den Fellen der Trommeln folgen. Ein berauschender Abschluss eines mitreißenden Konzertes, das am frühen Abend die Sängerin Rebekka Bakken mit ihrem Quartett nicht minder virtuos eröffnet hatte.
Der Pianist Esbjörn Svensson kennt keine stilistischen Grenzen. Rock und Pop, Jazz und Klassik fließen ineinander. Seine Harmoniebildung weist auf die europäische Musikgeschichte von Bach bis Bartok, die Improvisation in der ausschweifenden Phantasie auf Keith Jarrett und die Rhythmik auf Drum&Bass hin. Mal kostet Svensson die Fülle des Bechstein-Flügels aus, dann wieder baut er schier unendliche Spannungsbögen mit treibenden Ostinati kurzer Melodiefloskeln in minimalen Variationen auf. EST treibt die Musik voller Energie nach vorn, füllt sie zugleich aber auch in der Breite und Tiefe des Klangraums aus.
Die Kritik spricht zu Recht von hypnotischer Hymnik und einem Jazz, der atmet. Perlende Klavier-Appergi, treibende Snare-Kapriolen, verzerrte Bass-Soli und verfremdete Piano-Klänge produzieren groovige Sounds und swingendes Spiel. Svensson greift in Innere des Flügels, reißt die Saiten an, während Dan Berglund eine lang gezogene Bass-Linie mit vielen harmonischen Wendungen zupft und Magnus Öström die Felle der Toms mit den Besen streichelt. Die Stücke sind offen, so dass das seit zehn Jahren beständige Trio in traumwandlerischem Verständnis kommunizieren kann.
Die Projektion auf der Rückwand der Bühne vermittelt die Illusion eines nordischen Mitternachthimmels, an dem die Sterne ungewöhnlich schnell ihre Bahnen ziehen. In der Musik ist die nordische Melancholie und Kühle nur noch hintergründig zu spüren. Nebelschwaden hüllen das Trio ein wie der Dampf, der aus der Hitze der Musik strömt. Das Publikum feiert EST frenetisch minutenlang mit stehendem Applaus.
Zuvor hatte Rebekka Bakken, einer nordischen Fee gleich, die Zuschauer verzaubert. Auch ihr sind die Grenzen des reinen Jazz stets zu eng gewesen. Sie hat die Folklore ihrer norwegischen Heimat mit der afro-amerikanischen Rhythmik verbunden. Stimmlich ist die 34-Jährige mit den langen Locken reifer geworden. Kraftvoll und weit tragend ist ihr Gesang auch ohne die Elektronik sowie den dramaturgisch klug und sparsam eingesetzten Hall. In der tragischen Ballade von der Unschuld springt ihre Stimme vom Sprechgesang zu weiten sanglichen Bögen, sie wechselt abrupt vom lyrischen Alt zu Presstönen in hohen Lagen. Mal klingt sie wie eine trotzige Göre, mal wie ein unschuldiges Kind, mal wie eine verruchte Frau. Dass sie schon als Teenager in Rhythm&Blues- sowie Soul- und Rock-Bands sang, gereicht ihr nicht zum Nachteil.
Da sitzt sie auf einem Barhocker auf der Bühne, ganz in Weiß gekleidet, leitet eine Volksweise a capella ein, lässt den Pianisten Jesper Nordenstroem die Melodie in der Single-Note-Linie aufgreifen. Ein dramatisches Zwischenspiel mit wuchtigen Bass-Figuren von Lars Danielsson wird von groovendem Schlagzeug Peter Abbots und gleißenden Glissandi des famosen Gitarristen Staffan Astner abgerundet – und über diesem wabernden Sound-Teppich klingt kontrastreich die tragende, glasklare Stimme Bakkens.
In einer Ballade wirkt ihre Stimme zerbrechlich zu den schwebenden Linien des lyrischen Gitarrenspiels, später rockt sie zu funky Rhythmen in einer Geschichte von guten Jungs und bösen Drachen. Rebekka Bakken versteht sich als Songwriterin, und so verwundert nicht, dass sie in ihre Lieder Geschichten einstreut, gleichermaßen erzählt und singt. Das Publikum ließ sich von dieser Atmosphäre gefangen nehmen..