Wenige Kirchen habe ich in den vergangenen Jahren häufiger betreten als die Kollegienkirche in Salzburg und christliche Motive steckten nicht dahinter. Stattdessen: die Musik. Musik die der barocken Umgebung aufs erste Hören nicht unbedingt entspricht, auch wenn Orgel und Chor gelegentlich eine Rolle spielen. Stattdessen füllen im frühen Salzburger Herbst – eigentlich ist es der letzte Zipfel des Spätsommers – Jazzmusikerinnen und Jazzmusiker mit ganz eigenartigen Klängen den Raum. Einen Raum mit einer großzügigen Weite, der mit seinen steinernen Ecken, Kanten, Rundungen und Gemälden auf Holz einen Klangraum bildet, der Zuhörern und sicht- und hörbar auch den Musikern Freude bereitet. Die Be-Spielmöglichkeiten sind ebenso variabel wie individuell. In diesem – auch geographisch – zentralen Spielraum waren mit die außergewöhnlichsten und intensivsten Konzerte der diesjährigen Ausgabe von Jazz & The City zu hören. Das inspirierende Umfeld und die teilweise komplett neuen Musikerkombinationen erzauberten vibrierende und nachhaltige Musikerlebnisse: Saxophonist Hayden Chisholm und Organist Kit Downes zusammen mit einem vierköpfigen Frauenchor, das North Sea String Quartet, Clara Haberkamp solo ebenso wie Cellistin Anja Lechner und Bassist Robert Landfermann. Und zahlreiche spontane Ensemble-Zusammenstellungen in „Blind Dates“.
Natürlich ist Jazz & City in vieler Hinsicht ein Kompromiss: eine Einladung an Jazzhörer, die üblicherweise keinen Jazz hören, sich aber mit Begeisterung ins Festivalgetümmel werfen – das muss sein. Die lassen sich von der virtuosen und sympathischen Kaadri Voorand begeistern, wissen aber erfreulicherweise ebenso die vertrackten Berliner Jazzeskapaden der Band Klima Kalima zu schätzen. Heimspiel natürlich wieder einmal „5/8er in Ehren“ oder das „Austrian Syndicate“. Aber es geht bei Jazz & The City eben nicht um musikalische Anbiederung. Einige Widerhaken für die Gehörgänge gehören dazu: so konnten die wilden Musikantinnen von NOUT mit ihrem Punkjazz-Ansatz nur einen kleinen Teil des Publikums aus der „Szene“ herausspielen. Die Mehrzahl blieb und war begeistert.
Vermissen konnte man nur, was man kennt: langjährige Besucher erinnern sich mit Begeisterung an die Konzerte in den winzigen Spielstätten früherer Jahrgänge. Kalle Kalima solo mit vielleicht 20 Zuhörern im winzigen Gitarrenladen, die Trompeterin Arielle Besson im edlen Schmuckgeschäft, in dem Besucher im „Jazzerlook“ nach kurzem kritischem Blick willkommen geheißen wurden oder das Duo Almut Kühne und Edward Perraud im Krimskramsladen – unvergessliche und außergewöhnliche Konzerte. Diese kleinen Spielstätten gibt es im Programm von Jazz & The City kaum noch. Die Konzentration auf weniger Spielstätten erleichtert vermutlich die Organisation.
Geblieben sind die „Hidden Tracks“. Organisiert von der in Salzburg lebenden Schauspielerin und Theatermacherin Dorit Ehlers führen und entführen diese über ungewohnte Wege zu weniger bekannten oder zugänglichen Orten. Am Ziel: Kultur und Improvisation. Wer am Endpunkt musiziert und worum und wohin es geht, das weiß man vorher nicht. Erstaunliches über die Stadt lernen, historisch, kulturell, literarisch und eben auch musikalisch – das gehört zum besonderen Jazz & City Flair. Das Unerwartete ist auch wesentliches Charakteristikum der zahlreichen Sessions in der Stadt. In diesem Jahr war die Berliner Saxophonistin Almut Schlichting die „Mistress of Ceremony“ – rastlos unterwegs zwischen Blaue Gans Keller und Pavillon im Zwergelgarten: im Zusammenspiel mit zahlreichen neu zusammengewürfelten musikalischen Kombinationen. Jazz = Improvisation – so simpel und wahr ist hier die Gleichung.
Ohne große Mühe konnten man die diesjährige Ausgabe von Jazz & The City als „Frauenfestival“ wahrnehmen. Nicht nur, weil auf die langjährige Festivalleiterin Tina Heine (vor Ort und zu einigen Anlässen gewohnt souverän ansagend auf den Bühnen) eine von ihr empfohlene Nachfolgerin die Leitung übernahm. Anastasia Wolkenstein war am Eröffnungsabend noch leichte Anspannung im neuen „Amt“ anzusehen, die sich im laufenden Festival zunehmend auflöste. Zurecht auflöste, denn der Publikumszuspruch und ihr überzeugender programmatischer Programm-Mix überzeugten.
Auch weil in der Dichte des viertägigen Festivals einige reine Frauenbands und spontane Kombinationen zu hören waren. Die erwähnten NOUT, die omnipräsente Almut Schlichting aber vor allem auch die Saxophonistin Luise Volkmann. Der konnte man im Programm von den ersten Konzerten über den Festivalzeitraum mit Gewinn hinterherlaufen und zuhören. Von der Session im Keller der Blauen Gans, im Duo mit Bassistin Athina Kontou und mit der virtuosen Vokalistin Casey Moir, über ihre Bands Autochrome (mit Kontou und Maria Portugal) und der Großformation „Été Large“ bis eben auch in den sakralen Raum der Kollegienkirche. Ganz frei, mit ihren Musikerinnen Flötistin Conni Trieder, Casey Moir und der Cellistin Johanna Stein – den Raum und seine Akustik wandernd erschließend bis oben auf die Orgelempore. Ein großes Highlight dieses Festivals: eine nicht als solche benannte „Artist in Residence“, deren viele Facetten bei Jazz & The City erlebt werden konnten.