Astor Piazzolla hat den traditionellen Tango auf den Kopf gestellt, sein Innerstes nach außen gestülpt. Seine Kompositionen sind nicht tanzbar im herkömmlichen Sinn. Sein von Puristen angefeindeter Tango nuevo wird nicht unerheblich von Piazzollas Studium der Klassik beeinflusst, die er ebenso assimilierte wie die argentinische Folklore, aber auch die Neue Musik und vor allem den Jazz. Was also liegt näher, als Piazzolla-Kompositionen mit Jazz-Idiomen zu bearbeiten, die Melodik beizubehalten, aber die Harmonik in Improvisationen auszuweiten und die Rhythmik zu verändern, ohne den pulsierenden Off-Beat, die abgehackten Stakkati, die messerscharfen Betonungen und die wehmütigen Soli zu leugnen. Dem in Mainz geborenen Saxophonisten Hubert Winter ist diese Transformation gelungen, was die zahlreichen Zuhörer beim Konzert der Jazz-Initiative Mainz (jim) im Haus der Jugend umso eindrücklicher nachvollziehen konnten, als das Hubert Winter Quartett seine Interpretation der von der Akkordeonistin Andrea Kiefer gespielten Original-Kompositionen gegenüber stellten.
Getragen und sakral, präzise in „time“, souverän in der komplizierten Rhythmik und sensibel im Spiel auf dem Knopf-Akkordeon wird die 31-Jährige dem argentinischen Altmeister gerecht, Hubert Winter auf dem Tenorsaxophon übernimmt dann Piazzollas „Choral“ nahezu „coltranesk“ – in der Hymnik des Jazz-Saxophonisten John Coltrane – mit Stakkato-Linien, angerauten Tiefen, leicht überblasenen Höhen und einer kurzen, überraschenden Mehrstimmigkeit, während Pianist Bernhard Pichel zwischen perlenden Läufen und Akkordblöcken wechselt, Bassist Wolfgang Kriener von seiner straight gezupften Beleitung zu einer harmonisch verzierenden Linie übergeht und Schlagzeuger Hannes Nied eher weich und flexibel sowie melodisch den rhythmischen Puls festigt.
Ostinati, Gegenläufigkeiten in Duos von Piano und Saxophon, weit gespannte Melodiebögen kennzeichnen das Spiel des Quartetts, Stilsicherheit die Piazzolla-Interpretationen von Andrea Kiefer. Das Publikum feierte das „Doppel-Konzert“ begeistert. Schade, dass Hubert Winter es bislang nicht wagte, dieses „Tango Goes Jazz“-Projekt auf CD zu brennen.