Gypsy Jazzmusiker Häns’che Weiss verstarb am 2. Juni 2016

Häns'che Weiss - Foto Kumpf
Foto: Kumpf

Am 2. Juni starb mit dem Gypsy-Gitarristen und Komponisten Häns’che Weiss nach schwerer Krankheit in Berlin einer der bedeutendsten seines Genres. Der 1951 in Berlin geborene Weiss lernte die Grundlagen seines virtuosen Gitarrenspiels in der Familie und mit 18 Jahren wurde er im Jahr 1969 Mitglied des Schnuckenack Reinhardt Quintetts. Aus diesem ging später das „Häns’che Weis Quintett hervor in dem neben Weiss als Sologitarrist unter anderem Titi Winterstein an der Violine spielte. Ab den 1980er Jahren erweiterte sein musikalisches Schaffen und wandte sich auch der Bossa Nova und dem Modern Jazz zu.

Hans Kumpf schrieb für die Ludwigsburger Kreiszeitung im Oktober 1992 den folgenden Text:

Als Menschen werden sie bei uns immer noch – und gerade in diesen Monaten immer mehr – verachtet, als Musiker indes sind sie weitgehend geachtet: die Zigeuner. Vor 500 Jahren wanderten die Sinti aus Nordindien kommend in Europa ein. Die Zigeuner-Musiker nahmen die jeweiligen nationalen Folkloren in ihr musikalisches Idiom auf, lediglich von der deutschen Volksmusik ließen sie sich nicht beeindrucken. So setzt sich die Musik deutscher Zigeuner aus Elementen der böhmisch-ungarischen Folklore, der französischen Valse-Musette und des Swing-Jazz zusammen. Vorbild bleibt der belgisch-französische Gitarrist Django Reinhardt, der gerühmt wird, als erster einen europäischen Beitrag zur Jazzentwicklung geleistet zu haben. Sein „Hot Club de France“ wurde hinsichtlich Musizierstil und Besetzung (Violine, Sologitarre, zwei Rhythmusgitarren und Kontrabass) Muster für die Quintett-Formation von Schnuckenack Reinhardt und Häns’che Weiss, ein Zögling des Geigers mit dem berühmten Nachnamen. In Marbach trat der in Berlin wohnende Häns’che Weiss allerdings in – reisekostenfreundlicher Trio-Besetzung auf. Veranstaltet wurde das ausverkaufte Konzert im Schlosskeller vom Kulturverein „Die Palette“.

Von Anfang an herrschte den Künstlern gegenüber große Zuneigung und Begeisterung – schließlich trumpften die Musiker ohne Umschweife mit atemberaubender Virtuosität auf. Als ausgebuffte Profis wussten sie, wie man ein abwechslungsreiches Programm aufbaut und die Zuhörer zum Jubeln bringt. Da gab es bunt gemixt Zigeunerweisen mit starken Bezügen zum ungarischen Csardas (reizvoll wie Häns’che Weiss, auf der Gitarre das Cymbal imitierte), Django-Reinhardt-Kompositionen („Minor Swing“ sowie „Nuages“) sowie Songs aus Amerika, die ins Jazz-Repertoire eingingen. Der „Tea For Two“ wurde zur animierenden Kaffeehausmusik, mitreißender Jazz im Swing-Stil entwickelte sich aus dem Gershwin-Titel „I Got Rhythm“. „Sweet Georgia Brown“ darf bei keinem Zigeuner-Swing-Konzert fehlen, und das Trio trieb da fröhlich seinen Schabernack:

Martin Weiss begann „klassisch“ mit dem berühmten Boccerini-Menuett und ließ als weiteren Geigen-Gag doppelgriffig eine Autohupe schettern, um sich dann mit dem Häns’che Weiss im Sinne von Johann Sebastian Bach ein kontrapunktisches Duett zu liefern. Reverenzen an die mitteleuropäische Hochkulturmusik entbot der linkshändige Violin-Virtuose, der seineFlageoletts in aller Finesse und Eleganz hinstrichelte, durch so manchen schnellen Griff in die Zitatenschatztruhe: Mozarts 40. Sinfonie oder Bachs d-moll-Konzert für zwei Violinen. Seine instrumentale Variabilität unterstrich Martin Weiss noch, als er zur Gitarre griff, um schlagakkordisch den Soloimprovisationen des Bandleaders ein weiteres rhythmisches Fundament zu geben.

Vali Mayer, der ansonsten akkurat seinen „walking bass“ zupfte, hatte seine erste große (Lach-)Nummer in Fats Wallers „Ain’t Misbehavin“`. Er stellte nicht nur auf seinem Kontrabass das Thema vor, Vali Mayer gefiel sich auch als Vokalist im Falsett – in den höchsten Tönen gelobte er: „I’m saving my love for you“, wobei er sanglich und wörtlich Whitney Houston sehr nahe kam. Auf den Spuren von Slam Stewart wandelte er dagegen, als er seine Baßfiguren unisono in Scat-Manier mitsang. Eine ähnlich clowneske Comedy entwickelte Vali Mayer mit seinem rauhkehligen Gesang in der Art von Louis Arrristrong bei der Ballade „I Cant’t Give You Anything But Love, Baby“. Sachlich und unsentimental ging er dagegen in Duo-Formation mit Häns’che Weiss das aus Frankreich stammende Herbstlied „Autumn Leaves“ an, wobei er in seinem Solo kurz zum Flamenco kam, und dadurch erneut deutlich machte, wie sich die Zigeuner um die Musik Europas verdient gemacht haben.

Häns’che Weiss bewerkstelligte auf der elektrisch verstärkten Korpusgitarre die rasanten (von Chromatik und Sequenzierungstechniken geprägten) Melodie-Läufe gewohnt souverän und schaffte Dichte und Intensität durch Oktavparallelen und mehrstimmiges Spiel. Die drei Routiniers, die offensichtlich den Spaß an musikalischer Kommunikation nicht verloren haben, bedankten sich für den euphorischen Beifall mit zwei Zugaben.

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