Giora Feidman: „Hey Jude“: Klezmer-Sound und Beatles

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Text und Fotografien: Hans Kumpf

Klarinettist Giora Feidman und das „Rastrelli Cello Quartett“ begeisterten in Schwäbisch Hall mit Adaptionen beliebter Pop-Hits

Die Beatles und Klarinettenklang? Da denkt man zunächst an die Anfangstakte des Songs „When I’m Sixty-Four“, eingespielt Ende 1966 in den Londoner Abbey Road Studios. Giora Feidman zählt inzwischen 80 Lenze und nimmt sich derzeit den „Fab Four“ an. Der in Argentinien geborene Klezmer-Musiker hatte sich in seiner langen Karriere auch schon intensiv mit dem Tango beschäftigt. Als er zuletzt vor drei Jahren in Hall gastierte, hieß sein Programm swingend „Jazz Experience“.

Eine Universalität künstlerischer Art zeichnet Feidman, der 18 Jahre lang klassisch im Israel Philharmonic Orchestra agierte, allemal aus. Momentan lautet das mit einem Ausrufezeichen versehene Motto „Feidman plays Beatles!“. Dem Maestro zur Seite sitzt hierbei das „Rastrelli Cello Quartett“ – nicht zu verwechseln mit einem konventionellen klassischen Streichquartett mit zwei Violinen, einer Bratsche und einem Violoncello. Drei Saitenkünstler stammen aus St. Petersburg (dem vormaligen Leningrad), einer – Sergio alias Sergej Drabkin – kam 1953 in Weißrussland auf die Welt. Er hat längst beim Württembergischen Kammerorchester Heilbronn eine „halbe“ Anstellung gefunden und betätigt sich nebenbei als Komponist. So bearbeitete er feinsinnig Hits der Boys aus Liverpool – genügend Material für eine CD und eine Tournee. Nicht auf dem Programmblatt ausgedruckt, aber als eingeplante „Zugabe“ vor der Halbzeitpause, wurde das Lied vom tragischen Altern intoniert – mit 64 Jahren fängt das Leben doch nicht an…

Beatles und klassische Streicher? Hier fällt einem zu allererst Paul Cartneys „Yesterday“ ein. Mit dieser Nummer wird jeweils die laufende Konzertrunde eröffnet. Nicht wie üblich im Zuschauerraum, sondern bereits auf der Bühne blies Feidman hauchzart auf der B-Klarinette das Thema. Ein Spielen im leisesten Pianissimo vermag kräftezehrender sein als überlautes Gedröhne. Giora Feidman beherrscht diese hohe Kunst auch im fortgeschrittenen Alter auf bewundernswerte Weise. Respekt! Freilich starrt und stiert der sehbehinderte Musiker förmlich in die großformatig ausgedruckten Noten auf seinem Pult. Und da liest er penibel ab, was dem geneigten Zuhörer wie eine spontane Improvisation oder wie ad hoc erfundene Verzierungen erscheint.

Währenddessen sind die vier Cellisten notentechnisch auf dem neuesten Stand. Sie lesen ihre Einzelstimmen von kleinen Tablet-Bildschirmen ab – ein aufgeregtes raschelndes Papierblättern entfällt. In den gewitzten Drabkin-Arrangements klingt dieses Quartett so variantenreich wie ein herkömmliches Streichquartett – da ertönen aus dem Ensemble von Kira Kraftzoff, der sowohl bei Mstislav Rostropovitsch als auch bei Peter Buck (Melos-Quartett) studierte, quasi filigrane Geigentöne als auch satt-sonores Zupfen eines Kontrabasses. Ein willkommener Fake. Weitere virtuose Partner im Saiten-Quartett sind Mikhail Degtjareff und Kirill Timofeev, der noch etliche Soloaufgaben mit Bravour meisterte.

Bevor Feidman in „Eleanor Rigby“ auf seiner „normalen“ Klarinette mit Boehm-System aufmunternd keck spielte, hatte er bei dem populären Lied über die vereinsamte Dame zur tiefbeseelten Bassklarinette gegriffen. Dem Rastrelli Cello Quartett war zudem ein ganz eigener Beitrag gegönnt. In diesem Fall ging es wiederum um eine Lady, nämlich um „Dizzy Miss Lizzy“, verfasst von dem Amerikaner Larry Williams und von den frühen Beatles gerne gecovert: Zupackender Rock auf dem altbewährten zwölftaktigen Bluesschema basierend.

Völlig ohne irgendwelche Zitate von den Pilzköpfen konzipierte „Mischa“ Degtjareff sein „Thank You To The Beatles“ – ein inniges Dankgebet an John Lennon & Co.. Einen speziellen Support im Feidman-Abend erhielt das „Jerusalem Duo“. Dahinter verbergen sich eine Enkeltochter des Klarinettisten und deren Ehemann:  Hila Ofek (Harfe) und André Tsirlin (Sopransaxophon). Auswendig brachte das Paar zwei Nummern von dem Indien-Esoteriker George Harrison zu Gehör. Nach dem Rührstück „While My Guitar Gently Sweeps“ folgten zartbesaitete Originaltöne von Johann Sebastian Bach: Die Akkordbrechungen des Präludiums Nr. 1 in C-Dur aus dem Wohltemperierte Klavier, BWV 846. Doch dann vom Saxophon nicht etwa Charles Gounods sentimentale Melodie „Ave Maria“, sondern schön schluchzend Harrisons verzweifeltes Liebeslied „Something (In The Air)“.

Alle sieben Instrumentalisten vereinten sich glückselig in der zweiten Zugabe. Bei der traurigen Hymne „Hey Jude“ forderte Giora Feidman das ohnehin begeisterte Publikum auf, mitzuklatschen und kräftig das semantikfreie „Na-na-na-naa“ mitzusingen (ausdrückliche Partiturangabe auf Deutsch: „Singen mit dem Publikum“). Wieder mal eine kosmopolitische „Unity“ bei dem im englisch-deutschen Kauderwelsch die hiesigen Fans ansprechenden israelischen Klezmer-Grandseigneurs.

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