Es gibt locker drei Handvoll Jazzplatten in meinem frisch sortierten Plattenschrank, die teils seit Jahren auf einige wohlwollende Worte in diesem virtuellen Raum warten. Damit sind sie nicht alleine, denn auch Platten anderer Genres stehen schon längst in der Warteschlange. So viel wunderbare Musik, so wenig Zeit. Heute will ich dennoch ein ganz besonderes Album hervorheben, nicht zuletzt, weil es mir im neulichen regalistischen Alphabetisierungswahn wieder in die Hände fiel, nachdem es für eine verblüffend lange Zeit immer griffbereit in der Nähe des Plattenspielers zu finden war und erst vor wenigen Monden in die Schrankwand wanderte.
Über das Pulsar Quartet von Kornettist Rob Mazurek wollte ich schon nach den ersten Durchgängen schreiben. Die Ausflüge Mazureks mit Bill Dixons Exploding Star Orchestra hatte ich früher genauso gelobt wie jene Werke, die er gemeinsam mit Schlagzeuger Chad Taylor unter dem Banner des Chicago Underground Duos aufnahm. Ich verstand Mazurek bis dato immer als einen Avantgardisten, der selbst in freier, komplexer und chaotischer Umwelt den Fokus auf strukturgebende Melodie setzt: Das Chicago Underground Duo werkelt bisweilen in einem windschiefen und nur von wenigen brüchigen Stützpfeilern zusammen gehaltenen Musikkosmos herum, in dem Mazurek es immer wieder versteht, an exponierter Stelle gegen das Spröde und Zerfaserte anzuspielen und somit als Bindeglied zwischen Phantasie und Erzählung zu dienen. Das tosende Meer des Exploding Star Orchestras hingegen braucht keinen Halt mehr – es reicht, ein paar ordnende Bojen im Ohr zu behalten, die zappelnd und sisyphosgleich versuchen, Grenzen zu ziehen.
Für sein Pulsar Quartet holte sich der Komponist Tortoise-Drummer John Herndon und Bassist Matthew Lux ins Boot, am Piano sitzt Angelica Sanchez, die bereits ebenfalls mit dem Exploding Star Orchestra und außerdem mit Wadada Leo Smith und Chad Taylor spielte. „Stellar Pulsations“, dessen Liner Notes übrigens von Tortoise-Gitarrist Jeff Parker verfasst wurden, ist für mich deswegen so besonders, weil es wie eine langerwartete Weiterentwicklung des Hard Bops erscheint, dem sich Mazurek ja besonders zu Beginn seiner Karriere annahm. Expressiven und energischen Ausbrüchen, in denen die vier Musiker wie sprühender Goldregen die Umgebung erkunden und sich als Kollektiv immer weiter von der Komfortzone entfernen, stehen geerdeten Momenten mit enormer lyrischer Kraft gegenüber. Dazwischen sind die Grenzen beinahe völlig verschwommen und das ist beeindruckend: wie vor allem Angelica Sanchez in der fantastischen Ballade „Magic Saturn“ mit Mazureks Kornett so wunderbar harmoniert und damit eine bemerkenswerte Weite erschafft, oder wie sich im brodelnden „Twister Uranus“ die Rhythmusabteilung gegenseitig antreibt und hochschaukelt, während Mazurek die Käfigtür von außen zuschließt, bevor sie allesamt im abschließenden, fast meditativen „Folk Song Neptune“ gemeinsam abkühlen, ist das Eine. Das Andere ist die Fähigkeit der vier Musiker, „Stellar Pulsations“ in einer Art Zwischenwelt zu halten, um es an kaum hörbaren Fäden hängend zu erforschen, es durchgehend von immer unterschiedlichen Blickwinkeln zu beobachten und damit zu spielen. Kompositorisch ist das Werk mit dem im Detail kaum wahrnehmbaren Pendeln zwischen Tradition und Innovation eine kleine Sensation, im Kollektiv eine besonders anschauliche Darstellung von modernem, einheitlichem Improvisationstalent.
Erschienen auf Delmark Records, 2012. Rezension von Flo, der auf seinem Blog 3,40 regelmäßig Musik bespricht und unter @3_40qm twittert.