Foto: Mümpfer
Bassist Dieter Ilg überschreitet gern und mit großem Einfühlungsvermögen Grenzen. Bei seinen „Folk-Songs“ griff er Volkslieder auf und kleidete ins neue Gewand des Jazz. Jetzt hat er mit seinem Trio „Otello“ sich der dramatischen Oper zugewendet und reduziert Giuseppe Verdis Mammutwerk auf seinen Kern für das klassische Jazz-Trio. Dass er die Interpretation „eines der bedeutendsten Orchesterstellen für Kontrabass“ aus dem vierten Akt beim Konzert im Frankfurter Hof für die Zugabe aufhebt, ist ein Wagnis, das vom Erfolg gekrönt wird. Und so endet das Konzert wie es begonnen hat: mit sanftem Säuseln aus dem Sampler und raschelndem Kunststoff über dem Mikrophon des Percussionisten Patrice Heral.
Die Musik Verdis ist für den Komponisten Ilg nur Ideengeber. Die Harmonien in Verdis „Otello“ tauchen bei ihm jazzig abgewandelt auf. Doch die Emotionen dieses tödlichen Dramas von gekränkter Eitelkeit, hilfloser Liebe , von Rache, Intrige und Eifersucht stecken auch in den Sätzen des Trios. Mal gefühlvoll in den Single-Notes tastend, mal eruptiv die Akkorde zu gewaltigen Bergen aufschichtend, greift Pianist Rainer Böhm die Thematik auf. Patrice Heral führt sanft die Besen über die Felle, wechselt von afrikanischen Rasseln zum groovenden Beat. Ilg seinerseits baut weite Spannungsbögen mit Ostinati, verzaubert in langen Solo-Läufen mit überraschenden harmonischen Wendungen und Verzierungen und streicht mit dem Bogen in den Tiefen in klassischer Stimmung bevor er knapp unter dem Steg ein paar Töne in den höchsten Lage zupft. Das Trio springt ständig in dynamischen Abstufungen, wechselt einmal kurz in einen Drei-Viertel-Takt. Das Motiv des Feuerchores „Fuoco di gioia“ mündet in eine swingende und kraftvoll groovende Passage, „A questa tua“ wird von wuchtigen Bass-Griffen illustriert. Dass der Bösewicht „Jago“ mit einem fesselnden Bass-Solo-Ilgs, expressiven Clustern auf dem Piano und mit Herals heiseren Scat-Einlagen sowie gescratchten Sampels in einem treibenden Groove charakterisiert wird, kann da nicht verwundern. Mit einem sanften und lyrischen „Für immer und ewig“ verabschiedet sich Ilg von seinem langjährigen und im vergangenen Jahr verstorbenen Freund Charlie Mariano.
Ein Klangästhet und -tüftler wie der deutsche Bassist ist der norwegische Pianist Tord Gustavsen. Mit seinem Quartett mit dem Bassisten Mats Eilertsen, dem Schlagzeuger Jarle Vespestad und Tore Brunborg an Sopran- und Tenorsaxophon wandelt Gustavsen zwischen fragilen, lichten Impressionen und kraftvoll treibenden Expressionen. Melancholie kontrastiert mit Vitalität. Eine Uraufführung ist „Intuition“ mit einer sonoren Intro auf dem Tenorsaxophon und den sparsamen Akkordeinwürfen auf dem Piano, während Vespestadt die Felle mit den Besen streichelt und Eilertsen auf dem Bass straight die Basis zupft. In seinen Kompositionen verbindet Gustavsen Keith Jarretts ausschweifende Klangfindungen mit der Hymnik eines Abdullah Ibrahim und der Inbrunst des Memphis-Soul. Eilertsen assoziiert in einem Solo mit leicht knarrendem Bogenstrich und Sphärenklängen die kühle und endlose Weite des Nordens, Vespestad trommelt sein Solo vielschichtig über einem durchlaufenden Beat. Soundprägend jedoch sind der Pianist und den Saxophonist, wenn sie sich kraftvoll duellieren, wenn Gustavsen in einem Kinderlied „Left over Lullaby“ zu den geriebenen Becken perlende Notenketten aufreiht oder Brunborg in sanften Läufen die Atemgeräusche mit Obertönen anreichert. Ruhe, Konzentration und Emotion sind die Kennzeichen des norwegischen Quartettsbei der Vorstellung ihrer CD „Restored, returned“ und es kommt damit beim begeisterten Publikum in Mainz an.