Gwildis predigt den Blues
Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Stefan Gwildis ist der Top-Act des Festivals „Bingen swingt“. Wer je bezweifelt hat, dass ein Interpret des Blues in deutscher Sprache auf einem Jazzfestival am richtigen Platz ist, der wird an diesem kühlen Abend in Bingen eines Besseren belehrt. In seinem Song „Es ist alles zu spät, wenn der Mond über Hamburg steht“, scattet und phrasiert der Sänger jazzig, gurgelt und zischt, knurrt und knallt die Vokalisen in virtuoser Kehlkopfakrobatik. Die „Brüder und Schwestern“ jubeln den Blues-„Prediger“ zu, singen mit Hingabe gemeinsam „Mach die Musik so laut Du kannst“. Stefan Gwildis hat Charisma, beweist Ausstrahlung bereits, wenn er beim Soundcheck den Technikern die Anweisungen shoutet und mit der Gitarren begleitet. Wer kann schon mit einem Speaking-Blues über das Heiz-Erhardt-Gedicht „Der Einsame“ ein riesiges Publikum in Bann ziehen und mit der Frage „Do you like Jazz“ zum Jubeln bringen.
Wer sich nach mehr als einer Stunde vom Gwildis-Programm loszureißen vermag und zu einer der anderen Bühnen in der Binger Innenstadt geht, der kann die junge Gruppe „Monsieur Perine“ mit ihrer fast skurrilen und frechen Mixtur aus den Klängen ihrer kolumbianischen Heimat und amerikanischem Jazz erleben. Die Virtuosität der Bläser sowie Stimme und Tanz der Sängerin faszinieren ebenso wie die ungewohnten Sounds offene Ohren verlangen.
Vor Stefan Gwildis haben die schon gesetzteren Musiker der Dutch Swing College Band den traditionellen Jazz mit dem gleichen Engagement gespielt wie ihn die Zuhörergeneration genoss. Mehr als sechs Jahrzehnte verkünden die Mannen aus Holland routiniert und mit beachtenswerter Spielfreude ihre Botschaft – auch wenn das Spiel ein wenig akademisch anmutet. Doch das Publikum lässt sich unter anderem von den unvergesslichen Bechet-Kompositionen mitreißen.
Unterdessen präsentiert auf einer kleineren Bühne im intimen Rahmen die Sängerin Sarah Lipfert mit ihrem ausgezeichneten Quartett mit raffinierter Stimmführung ihr neues Programm „Von Knef bis Krug“. Vor dem Auftritt ehrte der Binger Oberbürgermeister Thomas Feser die Sängerin mit regionalen Wurzeln mit dem Ehrenpreis der Stadt.
Eine der Entdeckungen dieses Festivals ist eigentlich schon keine mehr. Der gebürtige ArgentinierValentin Garvie wurde bereits mit dem Arbeitsstipendium Jazz der Stadt Frankfurt geehrt. In Bingen präsentierte er mit seinem Quintett einen kammermusikalisch freien und pulsierenden Jazz, der dem Zuhörer den Atem rauben kann. Transposition ist das Schlüsselwort für die Fähigkeit, alle musikalischen Erfahrungen einschließlich derer aus dem „Ensemble Modern“ in seiner Musik zu integrieren.
Auf derselben Bühne spielt einen Tag später der Frankfurter Senior Emil Mangelsdorff mit singenden Linien auf dem Altsaxophon seinen unverwechselbaren, modernen und zugleich traditionsverbundenen Jazz sowohl mit seinem Quartett als auch zur Begleitung der Sängerin Sandy Patton. Die Lady scattet und singt mitreißend Stanards wie „Love forsale“. Perfekt in Intonation und Phrasierung sowie mit wunderbar wandelbarer Stimmeist Patton zu Recht eine zu Lebzeiten legendären Interpretin ebenso wie ihr sensibler Partner.
Der Bassist Pavel J. Ryba aus der Binger PartnerstadtKutna Hora in Tschechien zieht mit seinem melodischen und zugleich groovenden Spiel sowie den spannenden Unisono-Passagen mit dem Bassklarinettisten zahlreiche neugierige Zuhörer an.
Diese Neugier auf bislang unbekannte Künstler kann bei „Bingen swingt“ dank der großzügig bemessenen Spielzeit der unterschiedlichen Gruppen befriedigt werden. Wenn der Jazzfreund bei 33 Bands an drei Tagen nicht alle aufsuchen kann, so bleibt ihm dennoch Zeit von Bühne zu Bühne zu wandern und eine Zeitlang zuzuhören. So kann er unter anderem Uli Jünemanns „Triologue“ mit dem phänomenalen Drummer Allen Blairman bewundern. Doch dem Rezensenten bleibt nur die Möglichkeit, beispielhaft Bands herauszupicken.
Festivals wie Bingen swingt, sind wegen des engen Budgets gezwungen, ein breit gefächertes Programm zu präsentieren, um möglichst viele Besucher zu befriedigen. Das birgt die Gefahr, sich zu verzetteln. Der künstlerischen Leiterin Patricia Neher und ihrem Berater Bernd Otto ist es glücklicherweise bislang gelungen, diese Gratwanderung zu bewältigen, zumal das Konzept vorsieht, neben Jazz- und Blues-Größen wie Mangelsdorff, DSC-Band, AlbieDonelli und Ron Williams auch junge Talente wie die Jazz-Sängerin Anne Czichowsky oder die im Bingen heimische Shouterin Menna Mulugeta eine Chance zu geben. Letztere nutzte die Gelegenheit, um mit kraftvoller und tragender Stimme sowie in aufregender Begleitung des Multi-Instrumentalisten Gernot Blume zu Elektro-Geige und Harfe ihr Publikum mitzureißen.
Traditionell mit „Bingen swingt“ verbunden ist der Bigband-Wettbewerb von „Jugend jazzt“. Auch dieses Mal fiel es der hochkarätigen Jury schwer, auf Landesebene das beste Nachwuchsorchester zu küren. Dennoch fiel die Entscheidung einstimig: das „Yellow Tone Orchestra“ aus Montabaur wird Rheinland-Pfalz beim Bundesentscheid im kommenden Jahr vertreten.
Der Wettergott belohnte schließlich am Abschlusstag die Veranstalter mit strahlendem Sonnschein und die Festivalmacher ihr Publikum mit den „Gospel-Ladies“ sowie der routinierten Show des Entertainers Ron Willliams und seiner „Bluesnight Band“.