Fotos und Text: Klaus Mümpfer
Als vor einigen Jahren die künstlerische Leitung des Festivals „Worms Jazz & Joy“ von Stefan Traub an David Maier und Wolfgang Schall übertragen wurde, glaubten Jazz-Fans, die dem Festival fast zwei Jahrzehnte die Treue gehalten hatten, dass „Joy“ über „Jazz“ triumphieren würde. In diesem Jahr mussten selbst eingefleischte Jazz-Anhänger eingestehen, dass Maier in Zusammenarbeit mit Thomas Siffling ein Programm präsentierte, das hochgeschraubte Erwartungen voll erfüllte. An den drei Tagen in Worms, war die Pop-Schiene „Joy“ mit Konzerten von Xavier Naidoo, Max Herre oder Leslie Clio zwar publikumswirksam stark vertreten, doch der Jazz kam in dem stilistisch breit gefächerten und künstlerisch hochwertigen Angebot nicht zu kurz. Wie fließend dabei Grenzen sind, belegte der Frankfurter Gitarrist Shantel mit seinem „Bucovina Club Orkestar“ bei mitreißenden und tanzbaren Rhythmen.
Das Programm präsentiert Stars wie Klaus Doldinger mit seiner „Passport“ weitere internationale Künstler wie den französischen Bassisten Henri Texier mit dem „Hope-Quartet“, den amerikanischen Funk-Posaunisten Fred Wesley mit den „New JB´s“, den französischen Trompeter Erik Truffaz, der zuweilen als „Epigone“ von Miles Davis bezeichnet wird, und den jungen Pianisten Michael Wollny mit seinem Trio. Daneben hört man weniger bekannte, wenn auch herausragende Musiker wie den Luxemburger Vibraphonisten Pascal Schumacher, die österreichische Gruppe „Bleu“ und das Mannheimer Oriental-Jazz-Quartett „Lebiderya“. Die beiden letzteren Formationen belegen erneut, dass Innovationen und neue Klänge vor allem in den Randbereichen des Jazz zu finden sind. „Bleu“ und „Lebiderya“ zählen für mich zu den Entdeckungen dieses Wormser Festivals.
Auf höchstem musikalischen Niveau bewegen sich – wie nicht anders zu erwarten – die Senioren des deutschen Jazz: der Bassist Günther Lenz und den Trompeter Herbert Joos mit ihrem Junior-Partner Patrick Bebelaar. Das Trio zeigt sich experimentierfreudig, wenn Bebelaar in Innern des Flügels in die Saiten greift, Joos mit dem Flügelhorn ins Piano bläst oder seinem Instrument Klangfarben von überblasenen High-Notes bis zu gehauchten Atemgeräuschen entlockt. Lenz zupft in seinen Soli auf dem Kontrabass lange Melodielinien mit überraschenden harmonischen Verzierungen. Die stilistische Bandbreite reicht von einer Raga bis zum Tango (surprise). In die Pianoimprovisationen fließen Romantizismen und Klassik ebenso ein wie hymnische und hypnotische südafrikanische Folklore.
Henri Texiers Musik lebt mit Kontrasten von schnellen und freien Passagen bis zu getragenen Themen mit Unisono-Duos der Saxophonisten Sebastien Texier und Francois Cornloup. Mal umspielen sich Alt- und Bariton-Saxophon. Mal grummelt das Bariton und schreit das Alt in den hohen Lagen, dann wiederum parlieren und schnattern die Instrumente zu dem kunst- und reizvollen Soloausflügen des Seniors Henri auf den Kontrabass. Immerwährend präsent ist der herausragende Drummer Louis Moutin, der mit den Händen die komplizierten und verschachtelten Rhythmen auf den Fellen schlägt.
„Bleu“ präsentiert eine völlig eigenständige Mischung aus Klassik, Jazz und neuer Musik, die sie mit flächigen Soundteppichen unterlegt. Darüber liegen flirrende Klänge, Geräuschcollagen und Atemluft-Säulen des Trompeters Lorenz Raab. Ali Angerer bläst auf der Tuba die Grundakkorde oder zelebriert auf dem Hackbrett filigrane Melodielinien. Dazu pulsiert das Schlagzeug von Rainer Deixler, unterlegt meditative Klänge mit ostinaten Rhythmusfiguren. Schließlich rundet Raab den Klangkosmos von „Bleu“ mit den Sounds eines uralten Harmoniums ab.
Freude am Experimentellen hebt das Trio des Keyboarders John Medeski des Schlagzeuger Billy Martin und des Bassisten Chris Wood aus der Reihe der Modernen heraus. Hämmernden und groovenden Jazz aufregend gemischt sowie Funk, Gospel und Soul, sind das Wahrzeichen des Trios um Medeski, der zwischen Hammond, und Keyboards pendelt und zumeist gleichzeitig bedient.
Der Luxemburger Pascal Schumacher zieht die Zuhörer im intimen Ambiente des romanischen Kreuzganges im Wormser Andreasstift in seinen Bann. Es spannt sein Vibraphon und das vorgesetzte Xylophon in den Dienst lyrischer und romantischer Klangfarben ein, vermag aber auch mit dem Pianisten Franz von Chossy, dem Bassisten Christophe Devisscher und vor allem mit dem virtuosen Schlagzeuger Jens Düppe vehement zu grooven. Seine Kompositionen wirken oftmals kontrastierend zweigeteilt zwischen lyrisch Versponnenem und Groovendem.
Mehr noch als Schumacher lockt Michael Wollny mit seinem Trio die Fans an. Innenhof und Kreuzgang des Andreasstiftes fassen nicht die Zahl der Zuhörer, als der junge Pianist mit seinen unerwarteten, plötzlichen Wechsel zwischen free hämmerndem und lyrisch romantisierendem Spiel in die Tasten greift. Mal mit der Raffinesse und der Wucht der Klassik, mal im freien Spiel ergänzen sich der Pianist, der Bassist Tim Lefebvre und der frei pulsierende Drummer Eric Schaefer.
Eröffnet hat das Wormser Jazzfestival der Saxophonist Klaus Doldinger mit seiner bewährten „Passport“. „Singend“ bläst der Altmeister sein Sopransaxophon mit Hall und Echo-Effekten über einem Elektronikteppich. In langen Glissando-Läufen lässt Peter O´Mara seine Gitarre aufheulen, bluesig legt Patrick Scales auf dem E-Bass die Grundierung. Rhythmisch treibend spinnen Biboul Darouche und Christian Lettner das Rhythmusgeflecht. Zu später Stunde steigt die junge Soulsängerin Saint Lu – wie bereits zweimal zuvor in Berlin – in die Band ein, legt ihren eigenen Song „Falling for your love“ über einen Blues von Klaus Doldinger.
Mitreißend beschließt der Posaunist Fred Wesley aus der Wormser Partnerstadt Mobile in Alabama, das Festival Jazz & Joy. Mit seiner Band „The New JB´s“ brüht er eine höllische Funk-Mixtur mit einer exzellenten Rhythm-Section und sattem Bläsersound. Wesley wird dem Ruf gerecht, einer der „most funky Trombone-Players“ zu sein.
Dass die Festival-Macher dem Nachwuchs mehr Zeit widmen sollten, belegt die Phoenix-Foundation. Die zwischen 15 und 24 Jahre jungen Musiker des rheinland-pfälzischen Landesjugend-Jazzorchesters unter der Leitung von Frank Reichert präsentieren nahezu fehlerlos ein breit gefächertes Repertoire von neu arrangierten Standards bis zu Eigenkompositionen, die die Musiker von einer Indienreise mitgebracht haben. Satte Bläsersätze und eine sichere Rhythmusgruppe kennzeichnen den Klang der Bigband in klassischer Besetzung.
Mit 22 000 Besuchern bescheinigten die Veranstalter dem Festival einen Besucherrekord. 2014 wird „Jazz & Joy vom 15. Bis 17. August gefeiert.