Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Das Konzert beginnt mit einem pulsierenden polyrhythmischen Schlagzeug-Solo von R.J. Miller, das von einem elektronischen Klangteppich unterlegt wird. Kornettist Kirk Knuffke bläst klare und transparente Linien mit kurzen und zurückgenommenen Stakkati, während Jokob Bro auf der E-Gitarre ziselierte Läufe mit elektronischer Verzerrung zupft. Miller hat diese Komposition „Ronalds Rhythm“ genannt und er ist in diesem Abschlusskonzert stets präsent, wenn auch die strahlende Führung der erst 25-jährigen Tenorsaxophonistin Melissa Aldana aus Chile zugesprochen wird. „Im.pro.vise“ ist der Arbeitstitel der Band dieses Jahres, in der der Leiter der SWR-Jazzredaktion, Günther Huesmann musikalische Begegnungen ermöglicht hat, die unter normalen, das heißt kommerziellen, Gesichtspunkten, nicht möglich geworden wären.
Es sind ausschließlich jüngere Musiker aus den unterschiedlichen Lagern des freien Jazz, die sich in diesem Jahr „zusammengerauft“ haben. Ihnen gemeinsam ist, dass sie mit dem Bewusstsein der Tradition nach neuen Klangmöglichkeiten suchen, die sie in eigenen Formationen oder als Spieler in anderen Gruppen pflegen. Oftmals entdecken die Besucher beim Konzert im Frankfurter Hof in Mainz Neo-Bop-Phrasen und bekannte Riffs in den Soli der Saxophonistin oder glauben aus sonoren Läufen Joe Henderson und Sonny Rollins herauszuhören, während kammermusikalisch freies Spiel vor allem von Jakob Bro und seinen elektronischen Ausflügen auf der Gitarre mit Loops, Hall und sonstigen Verfremdungen ausgeht. Joe Martin legt mit Miller die Basis zumeist in straight geführten Bass-Linien, Pianist Jacob Sacks pendelt zwischen fließendem Spiel und gehämmerten Blockakkorden.
Jakob Bro ist festes Mitglied im Quartett von Tomasz Stanko, Miller trommelt seine ebenso filigranen wie kraftvollen Power-Rhythmen im akustischen Jazz oder rundet Elektronik-Projekte percussiv ab. Jacob Sacks fühlt sich mit seiner Flexibilität bei Clark Terry zuhause, aber auch im freien Spiel von Paul Motion. Joe Martin schließlich zupfte Jahre lang den Bass in der Band des Gitarristen Kurt Rosenwinkel. In der Mehrheit der 13 Kompositionen, die die Musiker zum Treffen in den SWR-Studios in Baden-Baden beigesteuert haben, fasziniert deshalb freies Spiel unter Einbeziehung der Tradition.
Das gilt auch für Knuffkes Kompositionen „Blank“, in der der Kornettist nach dem schwebenden Sound des Gitarristen mit zahlreichen Wechseln der Metren aus dem weiten Spektrum des Jazz zitiert, Sacks auf dem Flügel sparsam Cluster sowie kurze Single-Note-Ketten beisteuert und Knuffke nach überraschenden Geräuschcollagen das Stück lyrisch ausklingen lässt. Bros Komposition „Motion“ kontrastiert mit einer lyrischen Linie auf dem Kornett zum pulsierenden Schlagzeug, vermittelt phasenweise sakrale Stimmung und klingt mit Mehrstimmigkeit von Kornett, Saxophon sowie Gitarre aus.
In anderen Stücken driften in freiem Spiel die Instrumente zu parallel geführten Läufen auseinander, um sich in kurzen Unisono-Passagen wieder zu treffen. Der Zuhörer begeistert sich für Sound-Experimente im mehrstimmigen Mix der Instrumente. Das Piano klirrt, die Gitarre flirrt und der Bass wird kammermusikalisch gestrichen. Aldana bläst einige expressive und voluminöse Saxophon-Soli unter Einbeziehung der Atemgeräusche, Knuffke erweist sich immer wieder als ein Meister im High-Note-Spiel auf dem Kornett. Jo Martin steuert eine „Ballad“ bei, in der er harmonisch reizvolle Passagen streicht. Sacks fasziniert mit rasanten Läufen und Akkordschichtungen in seiner Up-Tempo-Komposition „Salad for lunch“.
Nebenbei bemerkt: „im.pro.vise (never befor seen)“ ist der Titel einer Einspielung des „Sean Jones Quartet“ mit seinem Post Bebop und straight ahead Jazz. Es sei dennoch Zufall, dass sich die Band des New Jazz Meetings „im.pro.vise“ nennt.
“Das SWR-New Jazz Meeting ist seit mehr als vier Jahrzehnten ein internationales Klanglabor, in dem Musiker, die noch nie in dieser Zusammensetzung gespielt haben, sich eine Woche lang Zeit nehmen, um neue Stücke zu erarbeiten, auszufeilen und in Abschlusskonzerten zu präsentieren. Dabei entstehen einzigartige Werke, die Ergebnis einer Zusammenarbeit sind, in er sich Künstler-Individuen nicht verleugnen müssen.
Gegründet 1966 von Joachim Ernst Berendt sowie später fortgeführt bei Werner Wunderlich und Achim Hebgen, entstanden oftmals dauerhaften Verbindungen von Musikern sowie Summits mit tonangebenden Vokalisten, Streichern und anderen Instrumentalisten. Der jetzige Leiter der SWR-Jazzredaktion, Günther Huesmann, führt diese Arbeit offensichtlich erfolgreich fort.