ASPERG. Von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt trat eine historische Jazz-Figur in Asperg auf – bei einer Familienfeier im Kleinkunsttheater Glasperlenspiel. Archie Shepp, 1937 in Fort Lauderdale geboren, galt in den 60-er Jahren als zorniger Avantgardist mit ausgeprägtem afro-amerikanischem Bewusstsein. Jetzt wurde er für „W.E.T’s Jazz Fest 2000“ verpflichtet. Und dahinter verbarg sich die Privat-Party des Marketing-Mannes Walter E. Thiede. Der aus Zwick stammende Neu-Düsseldorfer stand früher in Diensten sowohl der Damenstrumpf-Industrie als auch von Helmut Kohls CDU. Jetzt lud Thiede wieder Freunde und Verwandte in das Hotel „Adler“ ein, in dem schon viele Jazzmusiker anlässlich von Plattenaufnahmen in den Ludwigsburger „Bauer Studios“ logiert hatten. Zum kulturell-kulinarischen Höhepunkt des Wochenendes im Schwabenländle sollte Archie Shepp gereichen.
Schon längst ist der Saxofonist mit dem markanten (die Glatze verdeckenden) Hut revisionistisch zu Duke Ellington und zum Blues konvertiert, und mit der Intonation nimmt es der Tenorsaxofonist ohnehin nicht genau. Instrumentaltechnische Schwächen versucht er im Alter mit mehr Gesangseinsätzen zu übertünchen – dies praktizierte ja auch Louis Armstrong in seinen letzten Lebensjahren so.
Voller Vitalität dagegen zeigte sich die finnische Sängerin Kirsti Alho, die zwischen Standards und progressiven Scat-Vokalisen zu wechseln vermag. Als ein eingespieltes Team erwiesen sich die drei Amerikaner der Rhythmusgruppe – Tom McClung am Flügel, Wayne Dockery am Kontrabass und Steve McCraven am Schlagzeug. Ein gut-bürgerliches Jazz-Fest als geschlossene Gesellschaft.
(Juni 2000)