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Als vorlauter „Ice Cream“-Verkäufer wurde Chris Barber weltberühmt und reich. Der inzwischen 81jährige Posaunist spielte nun im Haller Neubau – keinen orthodoxen Dixieland und in außergewöhnlicher Besetzung.
Schwäbisch Hall.- Keine kleine Combo mehr und noch nicht eine ausgewachsene Big Band. Schon 1980 gab es „The Big Art Blakey Band“ des amerikanischen Jazz-Messengers-Hardbop-Drummers mit den jungen Talenten Wynton und Branford Marsalis sowie Kevin und Robin Eubanks. Drei Jahrzehnte später zieht die englischeDixie-Legende mit einer Neun-Mann-Truppe plus Dame namentlich nach: „The Big Chris Barber Band“.
Mit dem eigentlich seit den 20er Jahren bekannten Wortspiel „I scream, youscream,everybodywantsicecream“ wurde Chris Barber vor mehr als einem halben Jahrhundert populär. Der textlich und musikalisch turbulente Titel geriet zu seinem Markenzeichen. Trat fortan in Mitteleuropa eine mittelmäßige Oldtime-Jazz-Kapelle auf, dann schrien (und lechzten) alsbald – oft alkoholisierte – Fans nach der heißen „Ice Cream“.In Hall bekam das seriöse Publikum im halbvollen Neubausaal den Hit als eingeplante Zugabe serviert.
Doch Donald Christopher Barber, geboren am 17. April 1930 in der Grafschaft Hertfordshire, verharrt nicht eingleisig auf der Trad-Jazz-Schiene. Immer wieder vereinnahmte er Skiffle, Folk, Blues und Rock. Typisch für Chris Barber ist das Nichtvorhandenseins eines Pianos in seinen Gruppen. Natürlich, die Marching Bands im alten New Orleans konnten sich dieses sperrige Instrument nicht antun, aber schon Louis „Satchmo“ Armstrong stattete seine Ensembles mit einem Klavier (dessen Tasten zuweilen seine Frau bediente) aus.
Nach der obligatorischen Eröffnungsnummer „Bourbon Street Parade“ im polyphon-kontrapunktischen Südstaatensound, konzentrierte sich Barber mit seiner Gruppe jedoch auf den Vorkriegsswing von Duke Ellington. Da wurde dann aus den „RoaringTwenties“ in gewitzten Arrangements von Bob Hunt, welcher bei Barber neben Posaune sporadisch noch Trompete blies, neben sehr vertrauten Ellington-Stücken wie „C Jam Blues“ und „Black And Tan Fantasy“ auch weniger eingängiges Material reanimiert und vehement mit den diversen Dämpfern „gegrowlt“. Unmittelbare Improvisationen gab es in den jeweils äußerst kurzen solistischen Beiträgen kaum, dafür aber total auswendig ein hochpräzises Zusammenspiel der (viel singenden) Instrumentalisten bei perfekter Lichtregie und ausgeklügelter Bühnenchoreographie. Alles durch und durch professionell.
Mit dem Trompeter Mike Henry, dem Tenorsaxophonisten und Klarinettisten David Horniblow, dem Banjospieler und Gitarristen Joe Farler, dem Bassisten Jackie Flavelle und dem deutschen Drummer Gregor Beck, der schon mit dem Duce-Sohn Romano Mussolini (Piano) musiziert und sich mal mit dem Schweizer Charly Antolini eine wilde Drum-Battle geliefert hat, präsentierte Posaunist Barber sein reguläres Sextett.
Nach wie vor bläst und zieht Chris Barber sehr beweglich mit weichem Klang seine Posaune. Einen Altersbonus muss er nicht einfordern. Genauso ungebrochen tönt er mit seiner hohen Tenor-Stimme. Und selbst mit einer Show-Einlage am Kontrabass macht er musikalisch eine gute Figur.
Oldtime-Freak Barber verschmäht den modernen Jazz nicht. Richard Exall (Altsaxophon, Klarinette und Baritonsaxophon) ließ er mehrere Chorusse über den „All Blues“ von Miles Davis extemporieren, „Petite Fleur“ und der „Wild Cat Blues“ erfolgten als historische Paradennummern.
Amy Roberts als dritte Holzbläserin und Peter Rudeforth als zweiter Trompeter brachten sich gekonnt in die Großformation ein. Und auch sie beteiligten sich am fröhlichen Beerdigungslied „When The Saints“, das die Barber-Bands unabhängig ihres Ausmaßes erschallen lassen – nicht nur wie bei ihrer letzten Tourneestation Schwäbisch Hall am gesetzlichen Feiertag von Allerheiligen. Der neue Gag daran war nunmehr, dass alle sieben Bläser in homophoner Choralhaftigkeit begannen und mittendrin Zugposaunist Barber mit dem Kontrabassisten Flavelle ein unbegleitetes Duo improvisierte. Dem Oldtime-Jazz sind zuweilen auch neue Facetten abzugewinnen.