Das Trio gibt er Musik Zeit zur Entfaltung. Stefan Traub schlägt den großen Gong, klöppelt eine Akkordfolge auf dem Vibraphon, dreht die Knöpfe der Synthesizer, Wilfried Morew steuert Wirbel auf Blechtrommeln bei, legt mit Beckenschlägen ein dunkel timbriertes Fundament und klopft das Metrum auf dem Tonkrug, der dem indischen Ghatam nachempfunden ist. Die beiden Musiker entwickeln eine vibrierende Klangfläche mit impressionistischen Tupfern. Es ist die „Ouvertüre“ eines beachtenswerten Konzertes mit Klangcollagen und –tüfteleien aus der Feder des Wormser Vibraphonisten und Komponisten Traub (mit Ausnahme einer Bach-Bearbeitung), die die Grenzen des Jazz ausweitet.
„Soundscapes & Bluesshades“ nennt Traub treffend das Trio, das die spontane Komposition aus dem Augenblick und der Interaktion forciert. Die Musiker lassen sich von Videoeinspielungen inspirieren und dennoch ist dies keine Programm-Musik. Gewiss, zum Titel „Papierfabrik“ klingen die Ostinati aus dem Drumcomputer wie Maschinenmusik und auch das Vibraphon löst diese Fortschreitung nicht auf, doch die fließenden und sangbaren Linien auf dem Altsaxophon, die Knut Rössler hin und wieder mit Vibrato unterlegt, konterkarieren eine mögliche Fehlinterpretation. Zwar sind die Stücke kompositorisch grafisch ausgelegt, geben somit eine Richtung an, in die die Musik gehen soll, doch der Rest ist der Improvisation als spontanem Einfall in der sensiblen Interaktion überlassen. Da kann es natürlich nicht ausbleiben, dass ein wiederholter Dreierschlag Traubs auf elektronisch gefütterten Trommeln trotz Abstimmung mit dem Percussionisten unmotiviert aus dem Gesamtklangbild von „Kyoto“ heraus zu fallen scheint.
Doch stört dies kaum den logischen Aufbau und die Geschlossenheit der Kompositionen, die exotische Stimmungen nicht nur dann aufnehmen, wenn das Sopransaxophon etwa in der „Morgenlandfahrt“ modale Spielweisen aufnimmt oder in „Kariwani“ Narada Weidi den Klangteppich mit der Sitar webt. „Traumdeuter“, ein swingendes Stück, zählt zu den jazzigeren Interpretationen im konventionellen Sinn, „Tangerine“ weist schon im Titel auf die Inspiration durch die Gruppe „Tangerine Dream“ hin, unterstreicht die Widmung in der hypnotisch beschwörenden Wirkung durch computergesteuerte Endlos-Ostinati und aggressive Läufe auf dem Sopransaxophon. In „Karensansui“ besticht Rössler auf dem Altsaxophon mit Läufen, die von leicht überblasenen Höhe über gehauchte Tiefen bis zur vibrierenden Atemluftsäule im Finale reichen. Auf der Altflöte strahlt der Künstler reife Ruhe aus, zeigt Seelenverwandtschaft in der Tonfärbung mit dem Flöten-Star Charles Davis. Die Sitar-Klänge Weidis wecken Assoziationen zu Hamels Bearbeitung von Hermann Hesses „Siddhartha“. Eines der melodisch anheimelndsten Stücke dieses Konzertes im kleinen, überfüllten Gimbsheimer Heimatmuseums ist die Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs „Jesu bleibet meine Freude“ mit der Intro klassischen Orgelklangs, virtuosem Vibraphonspiel, sirrenden Flöteneinwürfen, sowie reizvoll kontrastierenden verfremdeten Texteinspielungen vom Computer. Kontraste von ruhigen Klangflächen und –linien auf den Blasinstrumenten sowie nervös pulsierender Percussion bauen Spannungsbögen in vielen der Traub-Kompositionen.
„Soundscapes & Bluesshades“ ist nach nunmehr fast zehn Jahren Kompositionsarbeit für Filmmusiken und künstlerischer Leitung des Wormser Festivals „Jazz & Joy“ die erste Live-Gruppe und Performance von Stefan Traub. Das Experiment mit improvisierter Musik im Grenzbereich des Jazz ist ihm gelungen und lässt noch manche Überraschung erwarten.