Text & Fotografie: Klaus Mümpfer
Als Billie Holiday im Sommer 1959 mit gerade mal 44 Jahren starb, sollen an ihrem Bett Beamte der Drogenfahndung gestanden haben, die sie viele Jahre regelrecht verfolgt hatten. Doch die Blues-Sängerin lebt ungeachtet aller Unbilden in ihren Liedern fort. Sie verfügte über eine unverwechselbare Stimme. Obwohl sie keine Gesangsausbildung genossen hatte, waren ihre Interpretationen mit dem begrenzten Stimmumfang unverwechselbar: herb und zugleich zerbrechlich, unterkühlt und dennoch leidenschaftlich. In ihren Liedern sammelte sie die Erfahrung eines Lebens im Zeitalter der rassistischen Unterdrückung und der Abhängigkeit von Drogen. Sie wusste dies. Ihr Song „Lover man“ bezieht sich nicht auf einen Mann, sondern auf Heroin und „Love for sale“ von Cole Porter war wegen seines Bezugs auf die Prostitution in Amerika jahrelang verboten.
Billie Holiday wäre am 7. April dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Die Jazzgruppe „Nola“ hat sich nach Aussage der Sängerin Marijke Jährling bereits seit geraumer Zeit mit „Lady Day“ beschäftigt, ihr am Darmstädter Theater ein Bühnenstück gewidmet, dem die Konzertreihe entwuchs, die sie jetzt im Rüsselsheimer Kulturzentrum „das Rind“ präsentiert. „Lady sings the Blues“ nennt sie das Programm, in dem natürlich der Titelsong sowie „Lover Man“, „Love for sale“ oder Holidays Anklage gegen die Rassendiskriminierung „Strange Food“ nicht fehlen dürfen.
Marijke Jährling kann und will ihre Stimme nicht mit der von Billie Holiday gleichsetzen. Doch sie singt unverwechselbar mit Emotionalität und Einfühlungsvermögen, mal brüchig, mal lasziv, mal mit Vibrato, mal unterkühlt, mal im Zwiegespräch mit dem Saxophonisten Steffen Müller-Kaiser oder im Duo mit dem Bassisten Rudolf Stenzinger in Gershwins „Embraceable you“ jene Lieder, die die Pionierin des Jazzgesangs aus oftmals rührseligen Musical-Melodien in den Adelsstand von Standards erhoben hat.
Müller-Kaiser, Stenzinger und Pianist Lukas Moriz sind sensible Begleiter der Sängerin. Sie unterstreichen die Songs mit sparsamen Akkordeinwürfen oder sperrigen Läufen auf dem E-Piano, mit meist straight gezupftem oder im lyrischen „Gloomy Sunday“ von Reszö Serres mit gestrichenem Kontrabass sowie mit cantablen Linien auf dem Tenorsaxophon oder percussivem Spiel auf der Bassklarinette. Stenzinger zupft im Duo-Stück mit der Sängerin vertraute Harmonien zur gesungenen Melodie, Müller-Kaiser leitet „Stormy weather“ mit kraftvollem Saxophon-Ton ein und explodiert in überblasenen Stakkati mit Klappengeräuschen sowie in attackierenden High-Notes, bevor Marijke Jährlings Stimme erklingt
„Very well done“ soll der Jazzpianist Bob Degen die Debut-CD von Nola kommentiert haben. In der Tat brachen die vier Künstler aus dem Rhein-Main-Gebiet die eigentlich für Bigbands geschriebenen Arrangements geschickt auf die intime Vierer-Besetzung herunter. Ihre musikalische Annäherung an die unvergessliche „Lady Day“ und an deren Interpretationen der Hits aus den 40er Jahren ist gelungen. Mit vielseitiger Stimmführung und persönlicher Phrasierung kommt Jährling der Intension ihres Vorbildes entgegen, während die Band die Klangfarben und Atmosphäre der Songs trifft.
Das nachdenklich und melancholisch wirkende Konzert hätte einen größeren Publikumszuspruch verdient. Doch die faszinierten Zuhörer im „Rind“ lassen Nola nicht ohne die verdiente Zugabe von der Bühne.