Nils Landgren und Jazz Youngsters am 1. Juli 2015 in Rüsselsheim

Photo: Mümpfer

Text & Fotografie: Klaus Mümpfer 

Nils Landgren hebt die Hand mit vier Fingern und zeigt die Zahl der Takte bis zum Finale an. Die beiden jungen Schlagzeuger Konrad Agnas und Jérome Cardynaals lösen sich an Trommeln, Becken, Triangel und Tamburin nahtlos sowie publikumswirksam ab, während Max Agnas und Simon Oslender abwechselnd in die Tasten des großen Flügel und der Hammond B3 greifen. In der Session nach dem „offiziellen“ Konzert im Rahmen des Rheingauer Musikfestivals und der Rüsselsheimer Jazzfabrik spielen die Jazz Youngsters gemeinsam mit dem Posaunisten und Mentor zur Begeisterung des Publikums im fast ausverkauften Theaters weit über die geplante Zeit hinaus. Die sieben Musiker lassen den Jazz brodeln, treiben ihn voran und zeichnen eindrucksvolle und vielstimmige Klangbilder aus Mainstream, Funk und nordisch kühlem Experiment.

Nils Landgren, der Mann mit der metallicrot lackierten Posaune, ist ein Hochenergetiker auf seinem Instrument. Er bläst mit seiner Funk-Unit unverwüstliche, kompakte, treibende Melodien und Rhythmen. Ebenso hat er – was seine stilistische Bandbreite belegt – Jazz und schwedische Volksweisen verknüpft. In das Konzert führt er zum Amüsement der Zuhörer solistisch mit der bekannten Gag-Version seiner Värmland-Hymne ein, bei der er zunächst auf der Posaune, dann nur auf dem Mundstück und schließlich rein oral das Thema interpretiert, um es auf dem Instrument abzuschließen. Es ist eine Melodie mit eingängigen Riffs und Rhythmen, die mitreißt.

So steht der Posaunist, der nächstes Jahr seinen 60. Geburtstag feiert, ungewollt im Mittelpunkt der Publikumserwartungen, auch wenn er mit seinen Jazz Youngsters zwei professionelle junge Bands präsentiert. „Twogether“, ein deutsch-holländisches Duo mit dem Hammond-B3-Spieler Simon Oslender und dem Schlagzeuger Jérome Cardynaals sowie aus Schweden die vier „Agnas Brothers“ mit Kasper, Max, Mauritz und Konrad. Im ersten Set dominieren treibende und soul-getränkte Rhythm & Blues-Kompositionen auf technisch hohem Niveau eher körperlich orientiert, im zweiten Teil genießen die aufmerksamen Zuhörer filigranen und oft pulsierenden Jazz, der eher geistige Anforderungen stellt.

Oslender lässt seine Hammond-Orgel immer wieder aufschreien, wechselt von leisen, fließenden Linien zu expressiven Passagen und wuchtigen Clustern, während Cardynaals zwischen straight geklopften und treibenden Breaks sowie Solo-Parts pendelt. „50/50“, die Titelmelodie ihrer jüngsten CD mit der Drum-Intro und dem ausdrucksstarken Hammond-Spiel reißt die Zuhörer mit. Bei „Obey“ steigt der Meister mit einer rau und vibratoreich geblasenen Posaune sowie spannungssteigernden Ostinati ein. Die beiden Musiker wollen nicht unbedingt originell sein, sagt Landgren. Sie möchten spielen, was ihnen – und offensichtlich auch dem Rüsselsheimer Publikum – Spaß bereitet. Die Zuhörer im gut besetzten Theater feiern die jungen Künstler.

Ganz anders die schwedische Boygroup. Das Quartett mit Piano, Bass, Gitarre und Schlagzeug ist stärker intellektuell geprägt. Ihr Jazz mit Folk-Elementen malt nordisch gefärbte Klangbilder mit romantisierenden Läufen von Max Agnas auf dem Flügel, perlenden Linien und sperrigen Akkordfolgen sowie feingezupften Melodien auf Kaspers Gitarre. Bassist Mauritz Agnas bekommt reichlich Gelegenheit zu harmonisch reizvollen Soli mit überraschenden Verzierungen, während Konrad sein Drum-Set oft frei pulsieren lässt. Stark emotional sind die Duos des Pianisten und des Gitarristen, der in „Rango“ elektronische Slide-Effekte mit dem Metall-Tonabnehmer auf den Saiten einfügt. Sperrig treibt er sein Solo voran, um schließlich in ein Unisono mit dem Piano einzumünden. In Leon Russels „Masquerade“ legt Landgren die Posaune zur Seite und singt mit sanfter, einschmeichelnder  Stimme den wohltönenden Standard. Das Konzert lebt ganz offensichtlich von Kontrasten und verschreckt trotz experimenteller Elemente nicht die begeisterten Zuhörer, die die Musiker frenetisch feiern.

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