Fotos und Text: Klaus Mümpfer
Beide Hälften von Kai Schumachers Solokonzert beginnen jeweils mit einigen hingetupften Single-Notes auf dem Flügel. Während sich jedoch bei Mozarts zwölf Variationen über „Ah vous dirai-je, maman, eine wohlbekannte schlichte Volksliedmelodie entwickelt, folgen bei dem 1960 geborenen Amerikaner Aaron Jay Kernis Minimalismen mit teilweise dissonanten Klängen, die für Klassik gewöhnte Ohren sicher befremdlich wirken. Kein Ton zu viel, doch jeder an seinem Platz. Bei Mozarts 1778 komponierten Variationen führt der Pianist Kai Schumacher vom sensiblen Anschlag zu perlenden Läufen mit Wechseln der rechten Melodiehand und Bass-Ostinati der Linken zu Notentrauben der linken und Akkordvariationen der rechten Hand, um einen Tastenlauf schließlich mit Triller zu beschließen. Andererseits entwickeln sich aus der sanften, fast maschinenhaft wirkenden Ökonomie des Amerikaners in den fünf Sätzen von „Before sleep and dreams“ unter den Händen Schumachers mit Dynamiksprüngen kraftvolle Akkordläufe, mal sperrig und verhaltend, vorherrschend jedoch ruhig fließend.
Robert Schumanns „Kinderszenen“ sind nach verbreiteter Auffassung nicht niedlich, sondern tiefernst. Sowohl der gefühlsbetonte und stimmungsvolle Charakter als auch das individuelle Erlebnis hinter den kleinen Kompositionen gelten als typisch romantisch. Das mag viele Interpreten zu überhöhtem Pathos und Süße verleitet haben. Kai Schumacher kehrt zu den originalen Metronomvorgaben des manisch depressiven und oft nicht ernst genommenen Schumann zurück. Damit entkleidet er die 13 Preziosen von allem Überflüssigen. Selbst die vertraute „Träumerei“ wird aus der Gefühlsseligkeit erweckt. Schumacher glaubt, so die Intentionen des Komponisten zu treffen, der 1838 in einem Brief schrieb, dass er „an die 30 putzige Dinge“ geschrieben habe.
Kai Schumacher ist ein begnadeter Cross-over-Pianist. Klassisch geschult und ebenso virtuos wie eigenwillig in der Interpretation „alter“ Kompositionen ist er zugleich mit Leidenschaft in der Art-Pop-Rock Szene, dem Jazz und der Elektronik zuhause. So überwindet der Künstler die Grenzen sogenannter „U-„ und „E-Musik“ und praktiziert dies mit seiner Folk-Pop-Gruppe „Mobilée“ ebenso wie bei den Multimedia-Installationen mit Jan Ehlens „PiXtole“.
Beim SWR-Konzert im ausverkauften Saal des Schlosses Waldthausen bei Mainz knüpft Schumacher musikalische Stränge über Jahrhunderte hinweg, wenn er Felix Mendelsson Bartholdys „Lieder ohne Worte“ mit Kompositionen des Musical- und Jazz-Heroen George Gershwin verschmilzt. Mit nahtlosen Übergängen besonders in den beiden Up-Tempo-Stücken „Allegro con fuoco“ und „I got rhythm“ macht es den Zuhörern die zeitlose Verwandtschaft von Harmoniestrukturen bewusst. Gershwin zieht seinen Drive aus einem immanenten Swing“, während Mendelsson-Bartholdy eher ruhig fließt. Schumacher gelingt es, diesen hintergründig hörbaren Unterschied zu bewahren und dennoch mit der interpretatorischen Freiheit des Solisten den Eindruck zu erwecken, dass die Musik aus einem Guss ist, ja fast von einem Komponisten stammen könnte.
Energetisch und technisch virtuos brillierte der Schumacher in der Komposition „You“ der britischen Art-Rock Band „Radiohead“ mit Hochgeschwingkeitsläufen ohne jedoch dem Tasten-Kollegen Christopher O´Riley zu nachzueifern, der das Stück für Klavier transkribierte. Seine interpretatorische Reife beweist der junge Künstler zugleich mit eigenen Transkribtionen von Songs der Gruppen „Foo Fighters“, „Soundgarden“ und „Slayers“.
Das Publikum erzwang zwei Zugaben des 32-jährigen Künstlers, der das umjubelte Solo-Konzert mit einem Song der kalifornischen Band „Rage against the machine“ beschließt, die einen Crossover-Mix aus Metal, Hip-Hop, Punk und Alternative-Rock pflegt. „Killing in the name“ leitet Schumacher mit einer ironisch verfremdeten Blues-Formel ein, kontrastiert virtuos voll klingende Akkorde mit jenen, die er in den Saiten des Bechsteins mit der Hand dämpft. Es ist, wie SWR-Moderatorin Sabine Fallenstein bei einem eingeschobenen kurzen Bühnengespräch versichert, ein ebenso erlebnis- wie entdeckungsreiches Konzert.