Die 2010er Ausgabe von Enjoy Jazz, des großen Jazzfestivals der Metropolregion Rhein-Neckar, bietet die gleiche kunterbunte Mischung unterschiedlichster Musikstile wie in den vergangenen Jahren. Für jeden Musikinteressierten ist etwas dabei – von Electronica über Klassik, Trip-Hop und Noise-artigem, Kuschel-Jazz und nordisch-verlorenen Jazztönen bis hin zu den Vertretern der reinen Jazz-Lehre. Regional recht ausgewogen über Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen verstreut. Nach wie wie vor funktioniert das einfache aber geniale Prinzip über sechs Wochen Veranstaltungen zusammen zu fassen, die zum guten Teil ohnehin stattgefunden hätten und daraus eines der umfangreichsten Jazzfestivals Europas zu zaubern. Das klappt, weil sich innerhalb kürzester Zeit ein „Enjoy Jazz Spirit“ entwickelt – eine besondere Festivalstimmung, dank eines engagierten Teams um den Festivalleiter Rainer Kern und mit langjährigen Unterstützern wie SAS und BASF, die offensichtlich nicht nur Geld ins Festival investieren sondern die Festivalkultur tatsächlich mitleben.
Auch die Hauptspielstätten sind die gewohnten: Karlstorbahnhof Heidelberg,Feuerwache Mannheim und in Ludwigshafen dasHaus. Zusätzlich einige spezielle „locations“, wie Kirchen, die etwas edleren Räumlichkeiten der BASF und einige weitere neue, wie zum Beispiel die Klosterkirche Lobenfeld. Es gibt eine gewisse Tendenz hier noch eine breitere Basis zu schaffen und zudem scheint sich auch die Zahl der Unterstützer, Kooperationspartner und die Sponsorenbasis zu erweitern – gut ablesbar an den einigen neuen Logos im Programmheft.
Unter dem großzügigen Dach von Enjoy Jazz findet Vieles seinen Raum – rund siebzig Veranstaltungen locken ihr Publikum über rund sechs Wochen. Die Bandbreite ist gewaltig: Stört man sich in einem Moment noch an vermeintlich – alles eine Frage der Perspektive! – Leichtem oder gar Seichtem im Programm, dann entdeckt man kurz darauf Anthony Braxton mit der zurecht hochgelobten jungen Gitarristin Mary Halvorson und darf sich auf deren mit Sicherheit herausfordernde Klänge freuen. Droht das Ohr ein wenig arg vom glatten ECM-Sound gestreichelt zu sein, dann wird vom Trio Crispell – Ditzner –Gramss Befreiendes durch die Ohren gepustet werden. Führt einen das Programm weg vom tugendhaften Jazz-Pfad, in Richtung des Pop-Fegefeuers, dann erlöst uns der tief in der Jazzgeschichte verwurzelte und doch unglaublich zeitgemäße Jazz von Nils Wogram und Hayden Chisholm in der Klapsmühl am Rathaus, mit deren Formation „Root 70“.
Überhaupt, die Klapsmühl: Das Konzert von „Root 70“ ist eines der Konzerte, die im Rahmen der Kooperation mit der IG-Jazz stattfindet. Das zweite wird vom Allen Blairmans Quartett bestritten. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren zeigt sich in diesem eine erfreuliche Neigung zu regionalen Musikern und Themen. Besonders augenfällig in der Kooperation mit Thomas Siffling, dessen Jazz’n’Arts Label im Rahmen von Enjoy Jazz mit einem kleinen Festival im Festival sein 10-jähriges Bestehen feiert und Perlchen aus dem Labelkatalog live präsentiert. Aber auch Karl Berger, Daniel Prandl, Knut Rössler, Steffen Weber und last but not least Erwin Ditzner sind mit von der Partie. Festivalchef Rainer Kern hat immer betont, dass Qualität sein wichtigstes Kriterium bei der Auswahl der Musiker für Enjoy Jazz sei und offensichtlich findet er die zunehmend auch in der Region.
Natürlich präsentiert er auch bewährte Freunde: Zu hören sind unter anderem wieder einmal Michael Wollny [em], Nik Bärtschs Ronin, Charlie Haden, Hazmat Modine, McCoy Tyner (Hurra! Er war 2004 das letzte mal bei EJ), Brad Mehldau und Jan Garbarek… Letzerer wird wohl in diesem Jahr ein besonderes Glanzlicht mit dem Hilliard Ensemble in der Heiliggeist Kirche setzen.
Es ist relativ einfach aus diesen bekannten Namen die persönlichen Favoriten heraus zu filtern. Etwas schwieriger, aber oft besonders lohnenswert, ist das Stelldichein mit Unbekannten. Die appetitanregenden Texte im Programmheft (von U. Kriest gewohnt kenntnisreich und mit gelegentlich elegant-kritischer Distanz verfasst) sind für die Mutigen Einladung genug. Alle anderen haben dank Web, Youtube und Myspace die einfache Möglichkeit zum vorab Spicken. Spannend sind die unbekannteren Namen und vielleicht überrascht ja sogar Grace Kelly, die 18-jährige Saxophonistin, bei der man sich nach dem Durchhören ihrer aktuellen CD allerdings verwundert die Augen reibt – wie ist dieses Mädel wohl ins Programm gefallen?