Von der Werkstatt bis zur Waldbühne: Jazzfestival Saalfelden 2025

Es war wieder ein Sprung in eine andere Welt, für einige intensive Tage in den Alpen. Ein Vorspiel am Donnerstag als sanfter Einstieg in die folgenden drei jazzgefüllten Tage. Von Freitag bis Sonntag dann das Leben in der Jazz-Bubble, mit einem vollgepackten musikalischen Programm, Begegnungen und Gesprächen zwischen Stadt und Bergen – und eine kleine Flucht vor den Dauerkonflikten, die derzeit alles überlagern.

Die Entwicklung des Jazzfestivals zwischen den Bergen war in den vergangenen Jahren rasant. Keimzellen des Jazz wurden in Spielstätten wie der Buchbinderei Fuchs, beim Brücklwirt oder in der Otto-Gruber-Halle gepflanzt; die Shortcuts-Reihe im Nexus wurde gehegt und gepflegt, im zentralen Stadtpark wuchert eher populärere Musik bei freiem Eintritt. Auch die umgebenden Berge werden mit ungewohnten Klängen bespielt und erwandert: vom Almkonzert über die stets sofort ausgebuchten We-Hike-Jazz-Veranstaltungen, das Duo-Konzert auf der Einsiedelei – in diesem Jahr mit Jon Irabagon und Laura Jurd – bis zum Sonntagmorgen-Konzert im Ruderboot auf dem Ritzensee und dem mittlerweile obligatorischen Waldkonzert. Nahezu ausverkauft waren praktisch alle Veranstaltungen – der 25. Jahrgang geht als kommerziell erfolgreichste Ausgabe in die Geschichte des Festivals ein: 98,5 % verkaufte Karten sprechen für sich.

Bemerkenswert ist, dass dieser Erfolg nicht mit Anbiederung erkauft wird. Der Jazzanteil des Programms bleibt anspruchsvoll und abenteuerlustig. Gerade die kleineren Spielstätten bleiben die Labore für Experimente, für die freieren Projekte der beteiligten Musikerinnen und Musiker und für inspirierte wie inspirierende Begegnungen.

Traditionell bestuhlt, auf einer klassischen Bühne – und dank Kartenvorverkauf mit Platzgarantie – werden die Shortcuts im Kulturhaus Nexus präsentiert. Vielleicht schlägt hier tatsächlich das Herz des Festivals: nicht nur wegen der durchweg anspruchsvollen und vielschichtigen Konzerte, sondern auch, weil die Bar ein wesentlicher Treffpunkt ist und hier die großartigen Sessions stattfinden. In diesem Jahr gab es die vom Artist in Residence, dem Gitarristen Teis Semey, organisierte Session und die traditionelle „Spiritual Unity Session“ von Lukas Kranzelbinder – gewohnt mit doppelt besetztem Schlagzeug. Wenn dort Hamid Drake und Sun Mi Hong ein hitziges Drum-Percussion-Feuerwerk abbrennen, wundert man sich über die furios einsteigende Magdalena Hahnkamper natürlich nicht.

Zurück zu den Shortcuts: hier wurden einige herausragende Konzerte gespielt. Begegnungen wie die von Max Andrzejewski mit dem Ensemble Resonanz aus Hamburg – Schlagzeug versus und im Zusammenspiel mit einem Streichquartett. Sein Kollege, Schlagzeuger Lukas König spielte mit der Pianistin und „Elektronikerin“ Kasho Chualan eine Art von „slow industrial“ Musik, leicht düster, Kratzgeräusche im Inneren des Flügels werden umhergeschoben wie schweres Gerät, der Rhythmus geheimnisvoller Maschinen bewegt sich in einem ruhigen Puls – bis er kurzzeitig von Königs überfallartigen Schlagzeuggewitter zertrümmert wird. Beeindruckend.

Es gab Konzerte, bei denen schon während des Liveerlebnisses der Spurt zum Plattenstand geplant werden musste – so bei HIIT, der Band um den Schlagzeuger Pedro Melo Alves mit Simone Quatrana am Klavier und Andrea Grossi am Bass. Deren Musik war eine Studie aus Energie und Kontrolle, eine hochkonzentrierte Klangverdichtung – Klavier, Bass und Schlagzeug verschränkten sich zu einer pulsierenden Struktur, die zugleich präzise gebaut und von Instinkt getragen wirkte.

Die kleinen Satellitenspielstätten in der Stadt sind informeller. Man trifft sich in der Buchbinderei Fuchs; für die Musikerinnen und Musiker wurde in der Mitte der großen Werkstatt ein wenig Raum geschaffen, das Publikum verteilt sich – wenn es denn sehr zeitig vor Ort überhaupt einen Platz ergattert hat – zwischen historischen Druckerpressen, nobel abgewetzten Holzschränken und mit zahlreichen Drucken gespickten Wänden.

Ein besonderes Zusammentreffen bieten auch die morgendlichen Sessions beim Brücklwirt. Hier waren zwei der herausragenden jüngeren Saxophonistinnen des Festivals zu erleben: Camila Nebbia im Duo mit John Edwards und Amalie Dahl, begleitet von der intensiven Rhythmusgruppe von „Ahmed“, mit Joel Grip am Bass und Antonin Gerbal am Schlagzeug. Es war ein intensives Erlebnis, die Musikerinnen und Musiker aus nächster Nähe zu hören.

Teis Semey – Artist in Residence und Impulsgeber: Eine markante Rolle im Saalfeldener Jahrgang 2025 spielte der niederländische Gitarrist, den das Festival mit mehreren Auftritten und Formaten an zentraler Stelle verankerte – auf der Mainstage mit seinem Ensembleprojekt „EN MASSE!“, in der Buchbinderei Fuchs im Duo „Teis Semey invites Kirke Karja“ sowie in einer Mitternachtssession mit internationaler Besetzung (u. a. Christian Lillinger, Ingebrigt Håker Flaten, Amalie Dahl). Natürlich auch in der Otto-Gruber-Halle mit seiner Band „Raw Fish“. Es war nicht Semeys erster Auftritt in Saalfelden; schon in früheren Jahren war er vor Ort. Dass das Festival Musikerinnen und Musiker über Jahre hinweg begleitet und ihnen wiederkehrend Plattformen für neue Projekte bietet, gehört zu seinem besonderen Profil. Die Entwicklung einzelner Künstlerinnen und Künstler wird so für das Publikum nachvollziehbar – ein Merkmal, das den Saalfelden-Flair wesentlich prägt.

Für langjährige Besucherinnen und Besucher gehört es zum Erlebnis, immer wieder auf alte Bekannte zu treffen: Musiker, die in Sessions oder kleineren Formaten erstmals auffielen, kehren später mit ausgereiften Projekten auf größere Bühnen zurück. Auch Semey reiht sich in diese Kontinuität ein: ein Künstler, dessen Saalfeldener Auftritte wie Wegmarken seiner Entwicklung wirken – und dessen Rolle 2025 mehr war als ein Einzelkonzert, nämlich ein lebendiges Zeugnis für die Langfristigkeit dieses Festivalgedankens. Ein anderes Beispiel ist Schlagzeuger Jim Black, der seit Jahren eine Art dauernder Artist in Residence ist – als extrem dynamischer Motor der Sessions und als Teil spannender Bandprojekte, in diesem Jahr in der Otto-Gruber-Halle mit „Raw Fish“ von Teis Semey . Dass Jim sich vor Jahren bei einer Wanderung einen Arm brach: Pech für ihn, aber eine originelle Fußnote der Festivalgeschichte.

Das traditionelle Auftrags- und Auftaktkonzert im Congress gehörte 2025 dem Wiener Saxophonisten und Komponisten Leonhard Skorupa. Unter dem Titel „Sonic Feast“ entfaltete er eine Komposition, die eigens für Saalfelden entwickelt worden war und auf der Hauptbühne ihre Uraufführung erlebte. Gemeinsam mit der Berliner Saxophonistin und Klarinettistin Silke Eberhard, deren prägnanter Ton immer wieder Orientierung bot, und der estnischen Pianistin Kirke Karja, die zwischen feingliedrigen Arpeggien und dichten Akkordfeldern changiert, entstand ein vielstimmiger Klangkörper. Robert Landfermann am Bass und Leif Berger am Schlagzeug hielten das Ensemble in Bewegung, ließen es atmen und immer wieder Fahrt aufnehmen. So entstand ein Auftakt, der aus kammermusikalischer Zurückhaltung allmählich in elektrisierte Verdichtung führte – eine Handschrift, die Skorupas Arbeit zwischen klarer Form und offener Improvisation deutlich machte.

Auch auf der Hauptbühne gab es die „Nischen“, die Saalfelden so besonders machen. Das Projekt der britischen Trompeterin Laura Jurd kam für einen Moment fast brav und folkig daher, entpuppt sich aber als „hidden gem“ des Festivals. Mit „Rites & Revelations“ kehrte sie nach einigen Jahren familiär bedingter geringerer Sichtbarkeit zurück und verknüpfte ihre beiden musikalischen Welten – Jazz und Folk – zu einem Klang, der archaische Wurzeln und zeitgenössische Farben verbindet. In Saalfelden oszillierte die Musik zwischen modalen Linien, folkigen Drones und dichten Improvisationen – mit Ruth Goller am Bass und der bemerkenswerten Gitarristin Tara Cunningham, die als metallischer Gegenpol zu den distinguierten Trompetentönen der Bandleaderin aufmuckte.

Eine Herausforderung – und für viele ein Höhepunkt – war das intensive Konzert von „Ahmed“. Benannt nach dem Bassisten und Oud-Spieler Ahmed Abdul-Malik, besteht die Band aus Pat Thomas (Klavier), Seymour Wright (Altsaxofon), Joel Grip (Bass) und Antonin Gerbal (Schlagzeug). Die Gruppe bezieht sich auf Abdul-Maliks Kompositionen, transformiert sie aber radikal. Elemente der Minimal Music schufen einen intensiven Flow. Das Konzert war ein auf höchstem Energielevel geschlossenes Set, in dem sich musikalische Strukturen verdichten und wieder auflösen. Das Zusammenspiel von Bass und Schlagzeug wirkt durch eine unmittelbare rituelle Intensität – ein pulsierender Strom aus minimalen Variationen, der die Musik zugleich erdet und antreibt. Pat Thomas brachte mit Clustern, perkussiven Attacken und abrupten Farbwechseln rhythmische Energie ein, während Seymour Wright mit schneidendem Ton und expressiven Bögen den Kontrast in der Band schärft und markante Peaks setzt.

In „EN MASSE!“ führte Teis Semey ein Ensemble, das zwischen kompositorischen Strukturen und frei improvisierten Passagen changierte. Kritiken beschrieben abrupt wechselnde Formen, grelle Farbwechsel, aber auch humorvolle, fast popaffine Momente. In seiner Ästhetik vereint er Elemente von Jazzvirtuosität, Rockriff und improvisatorischem Punk – eine Verdichtung von Gegensätzen, scharfkantig und manchmal etwas zersplittert, aber stets mit Bewusstsein für kollektive Energie.

Auffällig 2025 war insgesamt die starke Präsenz von Saxophonistinnen, die das Festival an vielen Stellen prägten. Mette Rasmussen brachte mit Weird of Mouth kompromisslose Energie auf die Bühne, Silke Eberhard zeigte im Eröffnungsprojekt „Sonic Feast“ ihre Fähigkeit, Tradition und zeitgenössische Klangsprache zu verbinden. Camila Nebbia überzeugte mit expressiven, dunkel timbrierten Improvisationen, die wie eindringliche Dialoge wirkten, reduziert auf Klang und Ausdruck. Amalie Dahl präsentierte sich im Session-Format als flexible Stimme der jüngeren dänischen Szene, die zwischen lyrischer Offenheit und eruptiver Energie wechselte. Yvonne Moriel schließlich war Teil des Projekts „Nothing Causes Anything“ und stand für die Lebendigkeit der österreichischen Szene – die sie schon in den Vorjahren in variantenreichen Formationen präsentierte. 2025 ergab sich so ein Panorama, das die Vielfalt und Eigenständigkeit der weiblichen Saxophonstimmen in Saalfelden eindrucksvoll vor Augen führte und dem Jahrgang einen besonderen Akzent verlieh.

Saalfelden 2025 bestätigt, dass künstlerischer Anspruch und Publikumswirksamkeit sich nicht ausschließen. Das Festival hält seine Laborräume offen, erweitert zugleich seine Reichweite und lässt Stadt, Landschaft und Bühne ineinandergreifen. Zwischen Werkstatt und Waldbühne, zwischen Shortcuts und Mainstage entsteht ein Raum, in dem Entwicklungen sichtbar werden: Künstlerinnen und Künstler kehren wieder, verschieben ihre Achsen, wachsen. Wer kommt, erlebt keine bloße Abfolge von Acts, sondern eine Erzählung über die Gegenwart improvisierter Musik – mit Ecken, Kanten, Reibung aber auch behutsamen Momenten. Darin lag die Stärke dieses Jahrgangs: Saalfelden bleibt neugierig, risikofreudig und nah – und macht hörbar, wie wichtig diese lebendige Musik ist.

Coda

Die Freude war riesig und ansteckend, als die Festivalmacher – künstlerischer Leiter Mario Steidl, Geschäftsführerin Daniela Neumayer und Organisationsleiter Wolfgang Hartl – auf der Bühne standen und den „Award for Adventurous Programming“ des European Jazz Network entgegennahmen. Sie taten das zurecht – als sichtbare Spitze eines großen, eingespielten Teams, dessen Arbeit hinter der Bühne den Erfolg dieses Festivals trägt. Auch wenn der Preisname ein wenig verspielt klingt: Der Hauch von Verwegenheit, den die Festivalmacherinnen und -macher mit vielen freigelassenen Tönen ihrem Publikum schenkten, macht diese Auszeichnung mehr als verdient. Anfang kommenden Jahres geht es schon weiter – mit 3 Tage Jazz im Winter. Und in den mittlerweile herbstlichen Tagen geht die Erinnerung an den musikalischen Sommer in Saalfelden fast nahtlos in die Vorfreude auf das nächste Jazzfestival Saalfelden über.

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Jazzfestival Saalfelden 2023 – Jazzthetik Artikel von Gert Filtgen / Photos: Schindelbeck
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