Oscar Peterson: "Spielen, bis 
ich vom Schemel falle"

Ein Königreich für 88 Tasten. Als Solist zauberte er im wörtlichen Sinne mit links aus seinem Instrument Klang-Volumen hervor, für die so mancher andere fast schon eine Big Band gebraucht hätte. Als Begleiter anderer Stars hielt er sich nicht dezent im Hintergrund, sondern zumindest mit die Zügel in der Hand und war so einer der gefragtesten Sidemen, wenn es um Jazz jenseits von Experiment und Avantgarde ging, und auch, wenn er die Entwicklung des Jazz um keinen Millimeter weitergebracht hat, so trug er doch ein gerüttelt Maß zu seiner Popularisierung jenseits seiner eigentlichen Grenzen bei, beeinflußte hunderte von Pianisten auch außerhalb des Genres und war für so manchen Fan Einstiegsdroge und Initialzündung in einem: Man übertreibt nicht, wenn man Oscar Peterson mittlerweile zu den lebenden Legenden zählt, einen Musiker, der – jedenfalls für eine Zeitlang – fast schon mindestens ebenso viele Feinde hatte wie begeisterte Anhänger.

Zugpferd selbst für Eifel-Dörfer

So populär war der Jazz Anfang der 60er Jahre mittlerweile auch in Deutschland geworden, daß selbst das 50 000-Seelen-Nest Düren, auf halber Strecke zwischen Köln und Aachen gelegen und ansonsten so verschnarcht, daß selbst heute noch der Ost-West-Expreß Berlin–Paris mit Tempo 140 durch den Bahnhof durchrauscht – daß selbst Düren beschloß, sich der neuen Musik anzunehmen, und auf Initiative des lokalen Intellektuellen, der zugleich auch Vorsitzender des lokalen Jazz-Clubs war, die Dürener Jazztage ins Leben rief. Doch wo zunächst die Auftritte von aus Kurt Edelhagens WDR-Tanzorchester abgezweigten Quintetten denen von lokalen Dixie-Bands in der Aula des Gymnasiums die weltläufigen Glanzlichter aufsteckten, da war für einen warmen Juli-Abend des Jahres 1962 ein Konzert angesagt, dessen Ankündigung fast schon der eines Papst-Besuches gleichkam. So versammelten sich denn hunderte von Fans und Kennern in erwartungsvoller Vorfreude vor den Toren, diesmal der Stadthalle, um dann nach der plötzlichen Absage in ein tiefes Loch der Enttäuschung zu stürzen. Ob der annoncierte Star auch nur je überhaupt und im Entferntesten eine Ahnung davon hatte, daß er als Zugpferd gehandelt worden war, gehört zu den auf immer ungeklärten Mysterien der Geschichte jener Dürener Jazztage, die im übrigen so bald wieder von der Bildfläche verschwanden, daß das Loch, das sie rissen, ebenso wenig über das vier Kilometer entfernte Birkesdorf hinaus publik wurde wie zuvor ihre Etablierung. Doch der Name des Mannes, für den selbst Fans aus den entlegensten Eifel-Dörfern den beschwerlichen Weg in die Provinz-Metropole auf sich genommen hatten, hatte schon damals den klingenden Ruf, den er heute noch immer hat: Oscar Peterson.

Zahlen, Daten, Fakten

Es ist ein gradliniger und in seinem völligen Fehlen jeglicher Brüche und Verwerfungen fast schon jazzuntypischer Lebenslauf, der da am 15. August 1925 im kanadischen Montreal seinen Anfang nimmt: Geboren in ein musikalisches Elternhaus, muß Oscar Emmanuel Peterson wegen Tuberkulose noch als Kind seinen Trompeten-Unterricht aufgeben und lernt statt dessen vom sechsten Lebensjahr an das Instrument, das ihn schon bald weltberühmt machen soll. Das Zusammenspiel mit Eltern und Geschwistern in einer Familienband sowie der Sieg in einem Amateurwettbewerb verschafft ihm schon mit 14 eine derartige Popularität, daß er bei einer lokalen Rundfunkstation eine eigene Show bekommt. Seit 1944 Mitglied einer Big Band, von der man außer dem Namen des Leiters Johnny Holmes nichts Näheres weiß, erlangt Peterson 1949 von einem Tag auf den anderen mit seinem Auftritt bei einem "Jazz At The Philharmonic"-Konzert in der New Yorker Carnegie Hall US-weite Reputation, unterschreibt einen Platten-Vertrag mit Impresario und "Verve"-Chef Norman Granz und startet damit eine Karriere sondersgleichen: Tourneen mit "Jazz At The Philharmonic" wie auch unter eigenem Namen lassen ihn innerhalb kürzester Zeit weltweit zur festen Größe werden, aus dem Duo mit dem Bassisten Ray Brown wird bald mit dem Gitarristen Barney Kessel und dem ihn kurz darauf ablösenden Herb Ellis das erste mehrerer inzwischen schon klassischer Trios, zahlreiche Platten-Einspielungen in kurzer Folge als Solist ebenso wie als Band-Leader oder Begleiter anderer Stars machen aus dem Namen Oscar Peterson so etwas wie ein Gütesiegel, und als beispielsweise die beiden Saxophon-Giganten im Oktober 1957 zum legendären "Coleman Hawkins Encounters Ben Webster" im "Verve"-Studio zusammenkommen, kann es eigentlich nur ein Trio als ebenso grundsolide wie inspirierte Basis geben: das des Oscar Peterson.

Es ist 1959, daß Oscar Peterson dieses Trio umformiert und statt des Gitarristen mit dem Schlagzeuger Ed Thipgen sein beständigstes, reifstes und erfolgreichstes Triumvirat auf die Beine stellt. Nach dem jähen Ende von "Verve" zunächst für längere Zeit ohne Plattenvertrag, veröffentlicht der Star-Pianist, der inzwischen auch an der School Of Jazz in New York lehrt und 1964 mit der "Canadian Suite" auch sein Herz für die Komposition entdeckt, auf dem deutschen MPS-Label von "Hello Herbie" über "Tracks" bis hin zu "Tristeza On Piano" eine ganze Reihe von fast ausnahmslos anspruchsvollen Platten, findet sich, nachdem Norman Granz mit "Pablo" eine Zweitauflage von "Verve" gegründet hat, erneut zu "Jazz At The Philharmonic" ein, gibt 1972 auf dem Newport-Festival das erste von mehreren umjubelten unbegleiteten Solo-Konzerten, nimmt in den 80ern mit Platten mit unter anderem Clark Terry, Dizzy Gillespie oder Freddie Hubbard die Tradition der "Meets"-Sessions wieder auf, stellt nebenbei in einer eigenen Fernseh-Show selbst andere Jazz-Größen vor, und als er nach einem Schlaganfall 1994 mit unbeugsamer Willenskraft und eiserner Disziplin die Kraft beider Hände in nun einer bündelt, zitiert ihn die Nachrichtenagentur dpa zu seinem 75. Geburtstag am 15. August 2000 mit den Worten: "Ich werde spielen, bis ich vom Schemel falle".

Umbruch ohne jeden Bruch

Stellt man, wie weiter oben fest, es sei ein Leben ohne Brüche gewesen, so muß das relativiert werden, geht es um die musikalische Biographie des Oscar Peterson. Denn natürlich stand auch er nicht im luftleeren Raum, und das besonders in den ersten Jahren seiner Karriere. Studio-Aufnahmen, Konzert Auftritte und auch und vor allem die "Jazz At The Philharmonic"-Tourneen brachten ihn zwangsläufig und immer wieder hautnah mit den, wenn auch im Rahmen des Granz’schen Konzepts des "Keine Experimente" modifizierten und abgeschliffenen, so doch aktuellen Spielweisen des Jazz in Berührung, in denen die großen Umwälzungen der 40er und frühen 50er Jahre ihren für ein breiteres Publikum verträglichen Niederschlag fanden. So setzte sich denn der – so das "Decca Book Of Jazz" etwas von oben herab – "Liberace des dekorativen Jazz" neben all den kaum noch zu zählenden klassisch-traditionellen Swing-Titeln und Evergreens auch durchaus mit damals zeitgenössischen Kompositionen wie John Lewis’ "Django", Horace Silvers "Nica’s Dream" oder auch Blakeys Erkennungs-Hit "Moanin‘" auseinander, und als er im Oktober 1957 zusammen mit Stan Getz ins Studio ging, war selbst da noch immer das Nachbeben der Bebop-Revolution zu spüren.

Von Stil-Elementen und Personal-Stil

Wenn einer so wenig zur Weiterentwicklung des Jazz beigetragen hat wie Oscar Peterson und seine Kreativität nicht, wie sonst so häufig im Genre, aus dem Leidensdruck des gebrochenen Charismatikers, sondern schlicht aus unbändiger Lebens- und Spielfreude schöpft, so scheint er offensichtlich nicht allzuviel herzugeben für Analysen und tiefergehende Betrachtungen. So finden sich denn auch in den Standardwerken – zumindest im deutschsprachigen Raum – allenfalls ein paar Marginalien über den Mann und Musiker, dessen Fächer in den Plattenläden bei entsprechend fachkundig zusammengestelltem Sortiment nahezu überquellen: "Das Klavierspiel von Peterson zeichnet sich durch ein phänomenales technisches Können aus. Er musiziert mit viel Drive und ist ein sehr anpassungsfähiger Begleiter und Solist, auch im Bereich des Hard Bop", stelzt beispielsweise Reclams Jazzführer in zwar gewohnt spröder Weise, dafür jedoch mit "Hard Bop" nicht unbedingt zutreffend daher. Joachim Ernst Berendt attestiert ihm in seinem "Jazzbuch", immerhin fast so etwas wie die Bibel des deutschen Fans, im Kern einzig, ein "‚Swinger‘ von ungeheurer Kraft und zupackender attaca" zu sein, der inzwischen "selbst Schule-bildend" gewirkt habe, und Arrigo Polillo schließlich fertigt ihn in seinem Buch "Jazz – Geschichte und Persönlichkeiten der afroamerikanischen Musik" mit zwei lapidaren Sätzen ab: "1949 präsentierte Norman Granz in einem seiner ‚Jazz At The Philharmonic‘-Konzerte auch einen 24jährigen Pianisten, der von einem seiner Solisten in Kanada gehört worden war", beschreibt der italienische Kritiker den Einstand auf der Szene, "es war Oscar Peterson, ein riesiger Neger aus Montreal. Mit einem triumphalen Erfolg begann so die glückliche Laufbahn eines der angesehensten Jazz-Pianisten." Und so ist es schließlich einzig Martin Kunzlers "Jazz-Lexikon", das, ohne freilich die durchaus kritischen Knackpunkte außer acht zu lassen, über mehr als zwei Seiten eine Lanze für den oft Verfemten bricht: "Sowohl Bewunderer als auch Gegner beziehen sich in der leidenschaftlich geführten Diskussion auf die scheinbar unbegrenzten technischen Fähigkeiten des Pianisten, der die verschiedensten stilistischen Elemente zu einem unverkennbaren Personal-Stil verschmolzen hat, mit Gespür für stimmige Tempi, dynamische Differenzierung und adäquate Themenbehandlung, gepaart mit Vitalität und Blues-Gefühl", resümiert der ehemalige Musik-Student und ausgebildete Bassist das "Phänomen Peterson" und zitiert den US-Kritiker Gene Lees: "Wenn es Pianisten gibt, die an Oscars Tempo herankommen, so fehlt es ihnen an seiner Männlichkeit und bluesbezogenen Kraft, und wenn man die nimmt, die an seine Power heranreichen, so fehlt ihnen seine absolute Beherrschung des Instruments".

Mit Woody Allen gegen Bartók

Oscar Peterson war und ist populär wie nur wenige andere Jazz-Musiker neben ihm – Louis Armstrong etwa, Benny Goodman, Glenn Miller oder – in Maßen und für eine neue Generation – Miles Davis. "Er wurde", schreibt denn auch Kunzler im "Jazz-Lexikon", "einem breiten Publikum zum Inbegriff des Jazz und zum letzten Anstoß zu dessen Anerkennung als Kunstform mit hohem Anspruch." Und in der Tat ist der – so Piano-Kollege Dave McKenna – "schwergewichtige Champion von Mainstream wie Modern Jazz" so präsent wie sonst nur Glamour-Stars von Liz Taylor bis Lady Di: Über nur wenige andere Musiker ist auch außerhalb der reinen Jazz-Berichterstattung und der klassischen Feuilletons so viel in Zeitungen und Zeitschriften geschrieben worden wie über ihn, der Cartoonist Toni Munzlinger zeichnete ihn einst mit ironischer Verehrung als in einem Meer aus Pianotasten schwimmenden Pottwal, und für Woody Allen schließlich war es in "Spiel’s noch einmal, Sam" Schicksals- und Gewissensfrage zugleich, ob er beim Damenbesuch mit Béla Bartóks Streichquartett No. 5 oder eben Peterson Eindruck schinden sollte. Daß dann, als er sich für Peterson entschieden hatte, das Mädel bat: "Könnten Sie die Musik nicht ein bißchen leiser machen? Ich bekomme Kopfschmerzen", sprach da weder gegen den Pianisten noch gegen den "Stadtneurotiker", sondern allenfalls gegen gewisse mentale Beschränkungen.

Komposition als Marginalie

Es gibt wohl keinen Titel aus dem weiten Feld zwischen klassischem Jazz-Kanon von "How High The Moon" über Ellingtons "C Jam Blues" bis "’round Midnight" und dem "All American Songbook" von "Georgia On My Mind" über "Autumn Leaves" bis hin zu "Bye Bye Blackbird", den Oscar Peterson nicht eingespielt und – werten wir ruhig – nicht veredelt hätte. So gibt es denn – wenigstens, was die Solo-Titel angeht – daneben auch nur einige wenige Eigenkompositionen, "Sushi" etwa, vermutlich die Erinnerung an ein japanisches Abendessen, "Blues for H. G.", die während der MPS-Einspielungen entstandene Widmung für deren Chef Hans-Georg Brunner-Schwer, den "Blues For Big Scotia" oder auch "Peace For South Africa", und allesamt und durch die Bank sind sie eigentlich nicht der Rede wert. Denn gottlob entwickelte der nicht nur zügige, sondern nahezu von unerschöpflichem Ideen-Reichtum überquellende, sprudelnde Improvisator über fremder Leuts Kompositionen nicht allzuviel Ehrgeiz nach der falschen Seite, blieb als interpretatorischer Schuster im Großen und Ganzen bei seinem Leisten und entlockte – sich und uns gleichermaßen zu Nutz und Frommen – selbst den abgeklappertsten Gassenhauern noch immer neue Klänge.

Zwischenschritt von "leicht" zu "seicht"

Wer so dem kultivierten Wohlklang verpflichtet ist wie Oscar Peterson, wer ihn sogar aktiv so kultiviert hat wie er, der läuft freilich auch Gefahr, die ohnehin so fließende wie durchlässig-dünne Grenze zwischen Kunst und Kommerz gelegentlich definitiv zu überschreiten. "Sicherlich, und das werden auch seine größten Fans zugeben, neigt Peterson zum Manierismus", hatte auch die "Berliner Morgenpost" in einer ansonsten begeisterten Konzert-Kritik von 1980 noch einmal den Finger in die einzige Wunde Petersons gelegt, "er bewegt sich hart an der Grenze des Banalen." Und wo es schon ethymologisch von "leicht" zu "seicht" der Schritt von nur einem Buchstaben ist, da schrammte der "Down Beat"-Poll-Sieger von zwölf Jahren in Folge wirklich hart an der Grenze des Erträglichen entlang, als ihn MPS 1969 vor Claus Ogermans Orchester setzte und ihm schlicht Tages-Schrott aus den Hitparaden zu spielen gab. Daß es Peterson dennoch gelang, halbwegs unbeschadet aus der Affäre zu kommen, ist da nur seinem Schaukelpferd-Gemüt zu verdanken und einer Qualität, die ihm auch die "Morgenpost"-Kritik bescheingt hatte: "Er schafft es durch seine Intensität, den Gefahren aus dem Weg zu gehen, und allein das zeigt schon den Meister".

Breitenwirkung bis in die Cocktail-Bars

Oscar Peterson und die unerträgliche Leichtigkeit des Seins – nur zu oft wurde er angefeindet, nur zu gern verlachten oder beschimpften ihn – so später der Hamburger Kritiker Werner Burkhardt – "Klugscheißer" und selbsternannte Bilderstürmer. Doch selbst Puristen mußten schließlich einräumen, daß auch die Grenzgänge des Wanderers zwischen den Welten wie jede Medaille ihre zwei Seiten haben. Denn zwar hat Peterson mit Sicherheit nicht die Entwicklung des Jazz auch nur um einen Zentimeter vorwärts getrieben, doch auf der anderen Seite hat er ihn auch für Leute kompatibel, bei Leuten populär gemacht, denen Namen wie Bud Powell, Bill Evans oder Horace Silver nichts sagen, die man mit Thelonious Monk oder Cecil Taylor gar in die Flucht gejagt hätte. "Auch, wenn manchmal die melodische Innovation ein bißchen zu kurz kommt und dafür die rhythmischen Kniffs und Tricks dominieren, so ist doch diese Musik nichts weniger als seriöser Jazz, der, eingängig wie er nun einmal ist, viel dazu beigetragen hat, dem Jazz insgesamt neue und breite Hörerkreise zu erschließen", stellte sich denn auch Mitte der 80er Jahre die belgische Kritikerin Famke Damsté vor Peterson, "Thelonious Monk und Bud Powell haben jeden Pianisten beeinflußt, der nach ihnen kam, aber Oscar Peterson hat mehr in die Breite gewirkt. Seine Musik verfügt über einen viel größeren Zugang für ein breites Publikum als die Tatums, Monks und Powells sowie der ganzen Bebopper. Auf der ganzen Welt spielen Pianisten in Cocktail-Bars, Night-Clubs und im Radio Musik, die ihre Wurzeln auch in seinem Spiel hat." Und es war diese Verbindung von seriösem Jazz und Breitenwirkung, die beispielsweise auch aus dem Entertainment-Standard "Let There Be Love", mit dem Nat "King" Cole als Sänger in genau 2‘44 Minuten fertig war, unter Petersons Händen auf dem Live-Mitschnitt aus dem New Yorker "Blue Note"-Club von 1990 zur Mini-Suite von 12 Minuten geraten ließ.

Harmonien für alle Fälle

Es gibt wohl keinen Musiker des verbindlichen Jazz der 50er und 60er Jahre, mit dem Peterson nicht irgendwann zusammengespielt hätte. Denn sein – so Ulrich Schnappauf 1995 zum 70. Geburtstag in der "Welt" – "wundervolles Einfühlungsvermögen und seine hohe Beweglichkeit" ließen den etablierten Solo-Star gleichwohl zu einem der gefragtesten Begleiter werden, der sich freilich dennoch nicht zum unauffällig-fleißigen Parteisoldaten degradierte, sondern, wiewohl im Dienst der Sache, dennoch mit die Zügel in der Hand hielt und der mit seinem – so noch 1993 Kritiker Wolfram Goertz in der "Rheinischen Post" – "gesunden, kreuzvitalen Mainstream" so mancher inzwischen klassischen Aufnahme zusätzliche Glanzlichter aufsteckte. So listet denn der "Bielefelder"-Katalog neben rund 40 Platten unter eigenem Namen weit über 100 auf, auf denen er von Benny Carter und Count Basie über Roy Eldridge und Lester Young bis hin zu Anita O’ Day, Louis Armstrong und Ella Fitzgerald sowie sogar Fred Astaire das solide Fundament mit unter die Füße schob oder sich mit Stars wie Stan Getz, Dizzy Gillespie oder Sonny Stitt zu den eine Zeitlang so beliebten "Meets"-Aufnahmen ins Studio begeben hatte. Und hatte Joachim Ernst Berendt 1960 in einer der frühen Auflagen seines "Jazz-Buchs" noch festgestellt: "Oscar Peterson hat seinem Trio Charakteristika des ‚Modern Jazz Quartet‘ gegeben. Manche Stücke des Ensembles scheinen wie eine liebenswürdige und charmante Verneigung vor John Lewis", so rückte Peterson selbst noch ein Stück näher an den legendären Gruppen-Sound heran, als er 1961 mit Milt Jackson für "Very Tall" ins Studio ging.

Mit klaren Worten gegen Verkehrsunfälle

Liest man die "Waschzettel" genannten Pressetexte, die Firmen ihren Produkten mit auf den Weg geben, muß man doppelt auf der Hut sein und aufpassen wie ein Schießhund, daß man nicht aller Vorsicht zum Trotz doch unbewußt den eloquenten Lobeshymnen der professionellen PR-Schreiber auf den Leim geht. Doch dann und wann stößt man selbst dort auf Gedankengänge und Aspekte, die über die saloppe Verkaufsförderung hinausgehen, Dimensionen zurechtrücken und fast so etwas wie einen "Aha"- oder auch "Ja, natürlich!"-Effekt auslösen: "Es gibt keine Platten", hob treffend ein Anonymus 1975 anläßlich der Veröffentlichung des "Pablo"-Albums "History Of An Artist" hervor, "die Oscar Peterson in so etwas wie einer embryonalen Phase zeigen, wo er merklich mit den Dämonen der Unreife zu kämpfen hat oder mit Schwierigkeiten, seine Technik auf die jeweils erforderliche Form zu bringen."

Und wer so frühvollendet war, der mußte fast zwangsläufig noch früher zum Konservativen werden als so mancher andere, der erst die Irrungen und Wirrungen eines gelebten Lebens hinter sich zu bringen hat, ehe er, auf der Basis durchlittener Erfahrungen, zu den überlieferten Werten zurückkehrt. So sparte denn auch der Doyen des traditionellen Jazz-Pianos in einem großen "Down Beat"-Interview im Dezember 1975 zwar nicht mit Lob für die damals junge Generation von Tasten-Artisten von Chick Corea bis Keith Jarrett, zollte McCoy Tyner uneingeschränkt und Herbie Hancock mit nur wenigen Abstrichen Anerkennung und bekundete Respekt selbst für den ihm diametral entgegengesetzten Cecil Taylor. Doch schon ein Jahrzehnt zuvor hatte er, unter dem Ansturm der jungen Wilden und ihrem im Raum stehenden Alleinvertretungsanspruch, mit drastisch-deutlichen Worten und unmißverständlich Stellung bezogen: "Wenn Musik wie ein Verkehrsunfall klingen soll", zitiert der Begleittext eines seiner MPS-Alben das in einem Interview geäußerte Credo von 1964, "dann sollte man auf die Straße gehen und ihn verursachen. Aber das Klavier sollte man in Ruhe lassen."

Pianist für die ganze Familie

Oscar Peterson, der Pianist jenseits aller Stile, der Volldampf-Solist mit dem schier unerschöpflichen Ideenreichtum, der Begleiter, der in immer wieder neuen Konstellationen und in jedem neuen Kontext immer nur sich selbst spielte und doch jedem seiner jeweiligen Partner der kongeniale Gegenpart war, der leichthändige Interpret, der durch seine für jedermann zugängliche Musik vermutlich mehr zur Popularisierung des Jazz beigetragen hat als so mancher zornige junge Mann. Und wenn Wolfram Goertz in der "Rheinischen Post" befand: "Oscar Peterson ist heutzutage nicht nur der gerngesehene Lebensbegleiter der älteren Jazz-Freunde und ihrer musikalischen Erfahrung, sondern auch so etwas wie ein Wunderlehrer für viele Jüngere, sozusagen der Pianist für die ganze Familie", so kann man das bei entsprechender Polung zwar durchaus auch als Häme sehen, eher jedoch aber noch als Kompliment – als Kompliment für die ganze Familie, die Jazz-Familie nämlich.

AUSGEWÄHLTE DISCOGRAPHIE


als Leader:

  • The Gershwin Songbooks (Verve, 1952/1959)

  • At The Stratford Shakespearean Festival (Verve, 1956)

  • Porgy And Bess (Verve, 1959)

  • The Silver Collection (Verve, 1959/1963, z. T. m. Nelson Riddle)

  • Very Tall (Verve, 1961, m. Milt Jackson)

  • Night Train (Verve, 1962)

  • We Get Requests (Verve, 1964)

  • Verve Jazz Masters 37: Oscar Peterson Plays Boadway (1950-1964)

  • Verve Jazz Masters 16: Oscar Peterson (1952-1966)

  • Exclusively For My Friends (MPS, 1963-68, 4-CD-Box)

  • Tristeza On Piano (MPS, 1970)

  • A Tribute To My Friends (Pablo, 1983)

  • Live At The Blue Note (Telarc, 1990)

  • Side By Side (Telarc, 1994, m. Itzak Perlman)

als Sideman:

  • Ella Fitzgerald, Louis Armstrong: Ella And Louis (Verve, 1956)

  • Stan Getz: The Silver Collection – Stan Getz And The Oscar Peterson Trio (Verve, 1957)

  • Coleman Hawkins: The Genius Of Coleman Hawkins (Verve, 1957)

  • Coleman Hawkins: Coleman Hawkins Encounters Ben Webster (Verve, 1957)

  • Ella Fitzgerald: Ella Fitzgerald At The Opera House (Verve, 1957)

  • Ben Webster: Ben Webster Meets Oscar Peterson (Verve, 1959)

  • Jazz At The Philharmonic All Stars: JATP In Tokyo (Pablo, 1953, m. Roy Eldrige, Benny Carter, Gene Krupa, Ben Webster u. a.)

  • The Greatest Jazz Concert In The World (Pablo, 1967, m. Coleman Hawkins, Johnny Hodges, Clark Terry u. a., 3 LP)